Dienstag, 10. Februar 2015

Prinzenrolle



Sie sind schon drollig, diese Halbstarken. Nach außen hin schlägt Herr Krüger oft die Hände über dem Kopf zusammen und ermahnt seine Schüler, wie es sein Job verlangt, nach innen amüsiert er sich aber doch fast immer. In diesem Falle sind es ganz speziell die männlichen Schüler, die sich in bestimmten Situationen immer wieder in ganz besonderer Form präsentieren.

Herr Krüger genießt seit geraumer Zeit einen Oberstufenunterricht, der weitaus weniger von lauten Zwischenrufen und sinnlosem Rumgewusel gestört wird als in der Mittelstufe. Oberstufenschüler sind anders. Sie haben ihre Wuselphase durchlebt und sind in der Mini-Max-Phase angelangt: Minimaler Aufwand, maximaler Nutzen, so lautet die Devise. Man bewegt sich nicht viel, beteiligt sich notdürftig und versucht, schriftliche Phasen auf dem Minimal-Level zu erledigen. Weibliche Teenager in diesem Alter sind da anders. Sie werden fleißiger, aktiver als in der Mittelstufe und verzichten weitgehend auf ihre Ich-bin-was-Besonderes-Rolle. Zum Glück!



Die jungen Wilden scheinen irgendwo auf dem Weg in die Oberstufe jedoch den falschen Abzweig genommen zu haben, denn sie sehen sich offenbar in der Position, eine Prinzen-Rolle einnehmen zu müssen, wie Herr Krüger immer mal wieder ansatzweise, heute jedoch deutlich vor Augen geführt wird. Die ersten Schüler seines Grundkurses haben sich bereits vor dem bisherigen Klassenraum gesammelt, als Herr Krüger den Neubau betritt und feststellt, dass der Raum besetzt ist. Er zückt seinen neuen Stundenplan und liest „T08“. Bisher fand der Kurs immer in T03 statt, aber offenbar hat sich das mit dem neuen Plan geändert. „Ich glaube, da stimmt was nicht, aber ich lasse Sie erst einmal in T08 hinein“, wendet sich Herr Krüger an seine Kursschüler und schließt auf. T08 ist der Jahrgangsraum der 7. Klassen, der aufgrund seiner Sonderfunktion keine Tafel oder ein entsprechendes Board hat und zudem mit kippeligen, dreieckigen Gruppentischen bestückt ist, auf denen liebevoll kleine, beige-rot bestickte Stoffdeckchen platziert sind. Zudem gibt es eine Sitzecke, ein Bücherregal und einen kleinen Tresen, kurzum, man merkt, dass dies kein Unterrichtsraum ist.

Die jungen Prinzen jedoch scheinen dies ganz anders zu sehen, entern den Raum bereitwillig, fallen zurück in ihr letztes Entwicklungsstadium und werden laut, ungewöhnlich unruhig und ansatzweise wuselig. Drei der insgesamt neun Prinzen entern unmittelbar nach Betreten des Raumes die Couch, lassen sich hineinfallen, sodass Staub und einige Federn aus der Füllung in die Höhe gewirbelt werden und zwei Sitzkissen in die Höhe hüpfen (ob aus Freude oder vor Schreck, ist nicht eindeutig festzustellen). Zwei weitere Exemplare dieser Prinzen-Spezies besetzt eine Deckchen-bedeckte Tischgruppe in zentraler Raumposition, in der Hoffnung, an einem der exponiertesten aller Plätze zu residieren, versäumt es jedoch nicht, das hübsch umnähte Deckchen mit zwei spitzen Fingern angewidert und als nicht standesgemäß auf einen der billigen Nachbarplätze zu katapultieren und zu kommentieren: „Herr Krüger, das ist jetzt aber nicht ihr Ernst, diese Deckchen, oder?“

Währenddessen hat es sich Prinz Jakob noch etwas bequemer auf seinem Couchplatz gemacht und seine Stiefel – an den Füßen sollte er mit Größe 46 mittlerweile ausgewachsen sein – zielsicher auf dem kleinen Couchtisch platziert. „Jakob, haben Sie sich das Zeugnis von jemand anderem ausgeliehen, um in die Oberstufe zu kommen oder was ist da falsch gelaufen, dass Sie sich noch so benehmen? Oder war es mein Fehler, dass ich vergessen habe, eine angemessene Lernatmosphäre für Sie vorzubereiten? Dann bitte ich natürlich vielmals um Entschuldigung ...“ scherzt Herr Krüger. Gemächlich, man könnte auch sagen ‚seinem vermeintlich etablierten Status angemessen‘ hebt Prinz Jakob seine Füße wieder vom Tisch, jedoch nicht ohne ein „dann müssen Sie mir schon einen Ersatz hinstellen, damit ich meine Füße ablegen kann!“ „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, mylord?“ beendet Herr Krüger den Wortwechsel. „Na schön“, grummelt Jakob, während Herr Krüger Marc einen Stapel Papier mit der Bitte in die Hand drückt, diese zu verteilen. „Lassen Sie das mal lieber die Mädchen machen, die können das besser ...“ kontert dieser und reicht den Papierstapel ohne zu zögern weiter. Herr Krüger schüttelt den Kopf und dreht sich weg in der Hoffnung, dass kein weiterer Schüler einen Rückfall in diese kindlichere Verhaltensphase erleidet.



Als es heute klingelt, werden die jungen Prinzen unruhig, sie verfallen wieder in ihr altes Rollenmuster und es zieht sie Richtung Tür. Bereits als Herr Krüger seine erkennbar abschließenden Worte beginnt, verlassen die ersten männlichen Kursschüler bereits den Raum.

‚Na, da fehlt aber noch einiges zum ganzen Mann‘, denkt sich Herr Krüger und packt dann auch zusammen.

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