Freitag, 20. Februar 2015

Noch ein Liebesbrief



Neue Woche, neuer Unterrichtsstoff, neue Überraschungen. Herr Krüger hat endlich wieder in seiner Klasse Unterricht. Durch seine Fächerkombination sieht er sie als Klassenlehrer viel zu wenig. Dabei soll ein Klassenlehrer ja mehr als ein Fachlehrer sein. Er soll ihnen die Tränen trocknen, wenn sie Sorgen haben, soll sie erziehen, wenn die Eltern keine Lust dazu haben, den Eltern Rede und Antwort stehen, wenn er immer noch nicht erfolgreich war, und eben all‘ dieses kann er nur, wenn er seine Schützlinge gut kennt.

Wie aber soll er das bei gerade mal drei Stunden pro Woche anstellen? Herr Krüger gibt sich redlich Mühe, geht selten an Ihnen vorbei, wenn er sie unterwegs trifft, sondern fragt, wie es ihnen geht. Trifft er sie in der Mittagspause, setzt er sich kurz zu ihnen, falls sie essen, würzt noch einmal ein bisschen nach oder wischt seinen Schülern den Mund ab, wenn ihnen noch Essensreste im Gesicht kleben. Anderen, die nicht gerade essen, sondern Schularbeiten erledigen, schaut er kurz über die Schulter und fragt, ob er helfen kann, manchmal sagt er ihnen sogar etwas vor ... aber nur manchmal.

Wenn einer aus seiner Klasse Geburtstag hat und Naschwerk zum Verteilen in der Klasse rumgibt, steht Herr Krüger immer schnell in der Schlange: „Für den Klassenlehrer sind doch immer zwei Teilchen vorgesehen, oder? grinst er dann oft mit einem fragenden Blick zum Geburtstagskind. „Vielleicht nachher, falls noch was übrig ist“ antworten sie dann meistens. „Das wäre toll, ich habe sooo einen Hunger“ nutzt Herr Krüger solche Situationen, um mal nicht der strenge Lehrer zu sein.

Ob er mit all diesen Bemühungen erfolgreich ist, zeigt sich in unterschiedlicher Form: Manchmal im bloßen Begrüßen, wenn Schüler aus seiner Klasse ihm begegnen. Wenn Herr Krüger dann stehenbleibt, ist das oft der Auslöser dafür, dass sich auch andere Schüler aus der Nähe um ihn herum scharen und er sich plötzlich inmitten einer Schülertraube wiederfindet, aus der er kaum wieder rauskommt. Manchmal ist es aber auch ein Schüler, der sich hilfesuchend und vertrauensvoll mit einem Problem an Herrn Krüger wendet. Alle diese Situationen hat Herr Krüger bereits mehrfach erlebt.

Zu den weitaus selteneren Fällen zählen Bekenntnisse. Und dennoch passiert es. Letzte Woche hat Herr Krüger ja unerwartet einen Liebesbrief von zwei Jungs aus seiner Klasse bekommen – definitiv ein Highlight des Schuljahres, über das sich Herr Krüger noch einige Zeit und immer wieder freuen wird. Von solchen Highlights erlebt man als Lehrer nicht besonders viele. Vielleicht ein bis zwei im Jahr nach seiner Erfahrung.

Auch in der heutigen Biologiestunde geht es wie letzte Woche wieder ums Mikroskopieren, wenn auch mit einem anderen Präparat. Wieder rufen alle Schüler seiner Klasse gleichzeitig und wollen, dass Herr Krüger guckt, hilft, lobt und mit Rat und Tat zur Seite steht. Kurz vor Stundenende steht er am Tisch von Marco und Piet, als er einen zusammengefalteten Zettel sieht, auf dem ‚Für Krüger‘ steht. „Für Krüger? Fehlt da nicht ein Wort?“ guckt Herr Krüger die beiden abwechselnd an. „Sie wissen doch auch so, dass es für Sie ist“ reagiert Piet und bereitwillig nimmt Herr Krüger den Brief an sich. Aus dem Augenwinkel beobachtet er, wie sich die beiden Jungs freuen und – wie letzte Woche – gespannt auf Herrn Krügers Reaktion sind.

Dieser entfaltet in dieser Woche einen fast doppelt so großen Zettel, auf dem sich die beiden selbst übertroffen haben. Wann immer sie den Brief geschrieben haben, es hat garantiert länger gedauert als in der letzten Woche. Muss ja bei dem Umfang, der sich dieses Mal über ganze fünf Zeilen erstreckt. Als Herr Krüger liest, was die beiden zu Papier gebracht haben, merkt er, dass sie ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen sind:
„Liebster Herr Krüger. Wir freuen uns total, dass wir sie als Klassenlehrer haben. Es ist sehr schade, dass wir sie nicht öfters haben. Sie sind so aktraktiv, nett, hilfsbereit, symphatisch und sehr süß. Sie sind unser ein und alles. Wir vermissen und lieben sie. Ihr Piet, Marco“
Dennoch – auch dieser Brief zeigt vollen Erfolg, denn wieder kann sich Herr Krüger das Grinsen nicht verkneifen und wieder fragt Herr Krüger nach: „Seid ihr sicher, dass ihr mich meint?“ „Ja, natürlich, wen denn sonst?“

Losgelöst von der aktuellen Unterrichtssituation sind die Jungs darüber hinaus erfolgreich: Ihr Brief schafft es bis in die Raritätenvitrine von Herrn Krüger, die er sich irgendwann als Motivationsmöbel in sein Arbeitszimmer gestellt und damals natürlich auch von der Steuer abgesetzt hat. Glückwunsch, Jungs!

Ein Wehmutstropfen bleibt trotz alledem: In zwei bis drei Jahren werden die beiden vermutlich leugnen, irgendetwas mit diesem Brief zu tun geschweige denn, ihn geschrieben zu haben. Schließlich ist genau so etwas irgendwann nicht nur uncool, sondern oberpeinlich! 

2 Kommentare:

  1. Ja, genauso sollte ein Lehrerdoch sein! Heute brauchen die SchülerInnen doch mehr denn je, zu Hause verleben siesolche Anteilnahme doch kaum noch, die Eltern müssen ja für den Konsum arbeiten und sich selbst verwirklichen. Und dann istesdoch kein Wunder , wenn diese Zuwendung auch die entsprechende Anerkennung erfährt. Der Lehrer muß den Brief natürlich auch richtig gewichten, so wie in dieser Geschichte.

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  2. Sehr schön zu lesen und sehr informativ für mich als Newcomerin. Leider bin ich von Liebesbriefen und solcher Art Beliebtheit noch weit entfernt.

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