Dienstag, 3. Februar 2015

Noch 'ne Flasche

Ein Auswärtseinsatz rief Herrn Krüger an einer anderen Schule auf den Plan, um dort Fachunterricht zu beurteilen und einer angehenden Lehrerin Hinweise zur Optimierung ihres Verhaltens und ihres Unterrichts zu geben. Als Gast wurde man von den Schülerinnen und Schülern der betroffenen Klasse zunächst erstmal gründlich gemustert, manchmal mit einem „Guten Morgen“ oder einer Testfrage abgecheckt oder diente auch als Auslöser einer kurzen Tuschelei, wie es jeden Tag zahlreiche unter Schülern gibt.

All das kannte Herr Krüger von solchen Gelegenheiten und so war es für ihn nicht weiter ungewohnt. Und dennoch stach diese Stunde aus den anderen heraus. Ob es an der Sitzordnung gelegen hatte – die Tische waren diagonal in der Klasse aufgestellt worden, sodass die Schülerinnen und Schüler einen besseren Blick sowohl auf die interaktive Tafel als auch auf eine weiße Magnetwand hatten – oder an etwas anderem, Herr Krüger konnte es nicht analysieren. Tatsache war allerdings, dass mitten in einer Gruppenarbeitsphase eine Plastikflasche auf Herrn Krüger zuflog. Obwohl er geistesgegenwärtig die Hände hob, traf ihn die Flasche zielsicher am Kopf. Von den Schülern, die vom Landeplatz der Flasche gesehen hatten, zuckten einige zusammen, andere drehten sich vermeintlich weg, gespannt auf Herrn Krügers Reaktion. Die Werferin selbst zuckte zwar auch kurz, machte allerdings keinerlei Anstalten, sich zu entschuldigen.

Herr Krüger fiel gänzlich vom Glauben ab. Zu seiner Schulzeit waren Essen und Trinken komplett in die Pausen verbannt gewesen, heutzutage waren diese Grenzen längst aufgeweicht und zumindest das Trinken wurde von diversen Lehrern während des Unterrichts erlaubt. Aber dass sich die Schülerin nicht einmal entschuldigte, nachdem sie festgestellt hatte, dass Herr Krüger keine Platzwunde am Kopf erlitten hatte, die mit zwei bis drei Stichen fachmännisch hätte genäht werden müssen, erzeugte bei ihm mehr als Erstaunen.

Als die Schüler merkten, dass Herr Krüger nicht fassungslos aufsprang und ein Fass aufmachte (wer hat heute schon ständig ein Fass dabei), nahmen sie ihre Arbeit wieder auf. Aber als wenn das nicht genug gewesen wäre, gab es für Herrn Krüger noch ein i-Tüpfelchen obendrauf, das dem ganzen Vorfall die Krone aufsetzte: Die Schülerin, bei der die Flasche landen sollte – Herr Krüger hatte das Beweisstück mittlerweile vom Fußboden aufgehoben und auf den Tisch gestellt, an dem er saß – griff sich die Flasche wie selbstverständlich, nahm ein paar Schlucke daraus und schob sie dann in ihren Rucksack. Wortlos!

Herrn Krüger fiel es schwer, sich noch auf den Unterricht zu konzentrieren. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Wie wurden diese Kinder heutzutage erzogen? Spielten Faktoren wie Respekt, Höflichkeit und reflexartiges Entschuldigen bei Vorkommnissen wie diesen dabei keine Rolle mehr?

Herr Krüger ertappte sich bei dem Gedanken, wie er den Klassenraum bei einer vergleichbaren Beurteilungsstunde mit Helm betrat. Nicht unbedingt mit einem Integralhelm, aber zumindest doch mit einem Fahrradhelm. Möglicherweise war aber auch die Variante die beste, die Polizisten bei Demonstrationen tragen, also mit langem, durchsichtigem Visier. Allerdings würde ein behelmter Lehrer seinen 360°-Blick aufgeben, den ein guter Lehrer hat.

Oder war all das übertrieben? Waren sie noch nicht soweit, eine von Herrn Krüger angedachte Helmpflicht für Lehrer einzuführen? Eigentlich doch nicht, wenn sich potentielle Flaschenwerfer nicht um die Folgen ihrer sportlichen Betätigung scheren. Hieß deshalb auch die neue Bildungssenatorin so – Scheeres – um auf diesen Trend der Verantwortungslosigkeit hinzuweisen? Hoffentlich nicht.

„Konzentrier dich!“ ermahnte sich Herr Krüger im Stillen. Mal sehen, was die Kollegin nachher sagt, die den Unterricht leitete ...

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