Donnerstag, 5. Februar 2015

Flipperklassen



Man kann Glück haben als Lehrer, man kann aber auch Pech haben mit Klassen, wenn es um Disziplin, Ruhe und geregelte Unterrichtsgespräche geht, schließlich sind sie ja oftmals ein wesentlicher Kern des Unterrichts, sodass es von großer Bedeutung ist, ob eine Klasse zu einem solchen geregelten Miteinander in der Lage ist oder nicht.
Herr Krüger hatte bislang beide Arten von Klassen erlebt, solche und solche. Oft sind die Klassen grundsätzlich in Ordnung und haben nur Flippertage, manche Klassen sind aber einfach eben echte Flipperklassen. Herr Krüger spielt gerne mit Begrifflichkeiten und so hatte er irgendwann diesen Begriff kreiert. Flipper, wie sie in jeder zweiten Kneipe stehen, hat Herr Krüger nie selbst bedient, höchstens ein oder zweimal, aber dann ist das schon so lange her, dass er sich nicht einmal erinnern kann, ob er tatsächlich jemals Hand aufgelegt und  auf den beiden Knöpfen rumgehämmert oder am gesamten Flipper gerüttelt hat. Kein Wunder, Herr Krüger treibt sich nie in Kneipen oder Spielhöllen rum. Hat er noch nie getan und wird auch nicht deshalb anfangen, weil er immer mal wieder eine Flipperklasse erlebt.

Dass manche Klassen nun ihren Titel von Herrn Krüger verliehen bekommen, geschieht natürlich nicht ohne Grund. Auch am heutigen Dienstag betritt er mal wieder eine Klasse, die seiner Wortschöpfung alle Ehre macht. Er selbst scheint die Kugel anzustoßen, als er geduldig darauf wartet, bis alle Schülerinnen und Schüler aufgestanden sind, um sich zu begrüßen. Ein Ritual, das es an dieser Schule zum Glück noch gibt. Herr Krügers Blicke in die Runde scheinen am heutigen Tag die sogenannte Inlane der Flipperkugel zu sein, denn mit fortschreitender Zeit gibt es erste Interaktionen zwischen sich gegenseitig ermahnenden Schülern: „Herr Krüger will anfangen ...“ „Halt jetzt doch mal die Klappe ...“ tönt es vom aktivierten Slingshot (Steinschleuder) zurück. „Könnt ihr nicht mal beide aufhören rumzunerven?“ Die Kugel hat den gegenüberliegendeg Bumper (Schlagturm) erreicht und immer schneller geht der Schlagabtausch zwischen Slingshots und Bumpern.
Endlich ist Ruhe. „Guten Morgen!“ „Guten Morgen, Herr Krüger ...“ echot es träge zurück, während sich die ersten Schüler mangels Körperspannung auf ihre Stühle plumpsen lassen.
„Wir orientiert man sich denn in einem Gebiet, das man noch nicht kennt?“ beginnt Herr Krüger. Verschiedene Schüler melden sich, nennen ihre Vermutungen und noch scheint es eine ruhige Stunde zu werden: „Ich guck mich erstmal um“, „Ich gucke, was ich so alles sehe“ usw.

Dann aber bringt Herr Krüger selbst – so scheint es –als Plunger die Kugel wieder ins Spiel, als er den nächsten Schritt einleitet: „... ihr habt schon vieles richtig gesagt, wenn man sich auf einem Kontinent wie z. B. Afrika orientiert und dafür zunächst den Atlas benutzt, achtet man vor allem auf die physischen Orientierungspunkte wie Gebirge, große Flüsse usw. Genau das sollt ihr heute tun, indem ihr dies zeichnet ...“
Zack – Herr Krüger scheint mit seinen Worten beide Flipperknöpfe gedrückt zu haben, denn die Flipperkugeln – es scheinen mehrere gleichzeitig im Spiel zu sein – fliegen ihm verbal nur so um die Ohren: „Och nee, muss das sein?“ „Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder?“ „Ich kann aber nicht malen!“ „Müssen wir das machen oder können wir die Karte auch zu Hause einscannen?“ „Ich hab meinen Atlas vergessen.“ „Warum müssen wir immer so viel malen in Geo ...?“
Herr Krüger kommt gar nicht so schnell hinterher, wie die Flipperkugeln über Rollovers, Gates und Center Posts hin- und herschießen und von den Slingshots, Bumpern und Holes immer wieder neu aktiviert werden.

Ganz still schreibt er daher die Seitenzahl der zu benutzenden Karte aus dem Atlas an die Tafel und klärt den Rest in Zweiergesprächen, weiß er doch aus Erfahrung, dass die Kugeln auf dem schrägen Spielfeld irgendwann ihren Weg finden und im Aus landen – zum Glück!

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