Man kann Glück haben als Lehrer,
man kann aber auch Pech haben mit Klassen, wenn es um Disziplin, Ruhe und
geregelte Unterrichtsgespräche geht, schließlich sind sie ja oftmals ein
wesentlicher Kern des Unterrichts, sodass es von großer Bedeutung ist, ob eine
Klasse zu einem solchen geregelten Miteinander in der Lage ist oder nicht.
Herr Krüger hatte bislang beide
Arten von Klassen erlebt, solche und solche. Oft sind die Klassen grundsätzlich
in Ordnung und haben nur Flippertage, manche Klassen sind aber einfach eben echte
Flipperklassen. Herr Krüger spielt gerne mit Begrifflichkeiten und so hatte er
irgendwann diesen Begriff kreiert. Flipper, wie sie in jeder zweiten Kneipe
stehen, hat Herr Krüger nie selbst bedient, höchstens ein oder zweimal, aber dann
ist das schon so lange her, dass er sich nicht einmal erinnern kann, ob er tatsächlich
jemals Hand aufgelegt und auf den beiden Knöpfen rumgehämmert oder am gesamten Flipper
gerüttelt hat. Kein Wunder, Herr Krüger treibt sich nie in Kneipen oder
Spielhöllen rum. Hat er noch nie getan und wird auch nicht deshalb anfangen,
weil er immer mal wieder eine Flipperklasse erlebt.
Dass manche Klassen nun ihren
Titel von Herrn Krüger verliehen bekommen, geschieht natürlich nicht ohne Grund.
Auch am heutigen Dienstag betritt er mal wieder eine Klasse, die seiner
Wortschöpfung alle Ehre macht. Er selbst scheint die Kugel anzustoßen, als er
geduldig darauf wartet, bis alle Schülerinnen und Schüler aufgestanden sind, um
sich zu begrüßen. Ein Ritual, das es an dieser Schule zum Glück noch gibt. Herr
Krügers Blicke in die Runde scheinen am heutigen Tag die sogenannte Inlane der
Flipperkugel zu sein, denn mit fortschreitender Zeit gibt es erste
Interaktionen zwischen sich gegenseitig ermahnenden Schülern: „Herr Krüger will
anfangen ...“ „Halt jetzt doch mal die Klappe ...“ tönt es vom aktivierten
Slingshot (Steinschleuder) zurück. „Könnt ihr nicht mal beide aufhören
rumzunerven?“ Die Kugel hat den gegenüberliegendeg Bumper (Schlagturm) erreicht
und immer schneller geht der Schlagabtausch zwischen Slingshots und Bumpern.
Endlich ist Ruhe. „Guten Morgen!“
„Guten Morgen, Herr Krüger ...“ echot es träge zurück, während sich die ersten
Schüler mangels Körperspannung auf ihre Stühle plumpsen lassen.
„Wir orientiert man sich denn in
einem Gebiet, das man noch nicht kennt?“ beginnt Herr Krüger. Verschiedene
Schüler melden sich, nennen ihre Vermutungen und noch scheint es eine ruhige
Stunde zu werden: „Ich guck mich erstmal um“, „Ich gucke, was ich so alles sehe“
usw.
Dann aber bringt Herr Krüger selbst
– so scheint es –als Plunger die Kugel wieder ins Spiel, als er den nächsten
Schritt einleitet: „... ihr habt schon vieles richtig gesagt, wenn man sich auf
einem Kontinent wie z. B. Afrika orientiert und dafür zunächst den Atlas
benutzt, achtet man vor allem auf die physischen Orientierungspunkte wie
Gebirge, große Flüsse usw. Genau das sollt ihr heute tun, indem ihr dies
zeichnet ...“
Zack – Herr Krüger scheint mit
seinen Worten beide Flipperknöpfe gedrückt zu haben, denn die Flipperkugeln –
es scheinen mehrere gleichzeitig im Spiel zu sein – fliegen ihm verbal nur so
um die Ohren: „Och nee, muss das sein?“ „Das ist jetzt nicht ihr Ernst, oder?“
„Ich kann aber nicht malen!“ „Müssen wir das machen oder können wir die Karte
auch zu Hause einscannen?“ „Ich hab meinen Atlas vergessen.“ „Warum müssen wir
immer so viel malen in Geo ...?“
Herr Krüger kommt gar nicht so
schnell hinterher, wie die Flipperkugeln über Rollovers, Gates und Center Posts
hin- und herschießen und von den Slingshots, Bumpern und Holes immer wieder neu
aktiviert werden.
Ganz still schreibt er daher die
Seitenzahl der zu benutzenden Karte aus dem Atlas an die Tafel und klärt den
Rest in Zweiergesprächen, weiß er doch aus Erfahrung, dass die Kugeln auf dem
schrägen Spielfeld irgendwann ihren Weg finden und im Aus landen – zum Glück!
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