„Panta rei“
sagt der Grieche, um zu beschreiben, das alles im Fluss und alles im Wandel
ist. Natürlich trifft das auch auf Schule zu. Wenn man an früher denkt, assoziieren
viele die Feuerzangenbowle, strenge Lehrer, festgeschraubte und hölzerne
Schulbänke (damals waren es wirklich noch Bänke), höchste Disziplin und
Lehrerautorität.
Und heute?
Von wegen! Heute stehen an den eben benannten Stellen häufig lockere Lehrer,
Stühle aus Plastik, wenig Disziplin und Frechheiten.
Was ist
passiert? Nun, ‚es floss‘. Schule hat sich einfach gewandelt: Das Mobiliar, der
Job des Lehrers, Respekt und Disziplin. Leider sind diverse Verhaltensweisen,
über die Herr Knigge seinerzeit ein Buch schrieb abhanden gekommen.
Nehmen wir einen Tag aus dem Schulalltag von Herrn Krüger. Morgens
betritt er das Foyer des Schulgebäudes, in dessen Abtrittsmattendoppeltürschleuse
bereits eine Handvoll Schüler – überwiegend still und über ihr Handy gebeugt –
wartet. Vermutlich ist eben dieses die Ursache dafür, dass Herr Krüger auf sein
lautes „Guten Morgen“ nur eine leise, wenn überhaupt eine Antwort bekommt. „Na
ja, sie sind wohl noch ziemlich müde“, murmelt Herr Krüger vor sich hin und
wendet sich Richtung Lehrerzimmer. Dort hängt er seine Jacke über den Haken des
Garderobenständers, klappert kurz die üblichen Punkte – Postfach, Schwarzes
Brett sowie seinen Platz – ab und macht sich dann bereits auf den Weg in den
relativ weit weg gelegenen Klassenraum. Mittlerweile sind einige Schüler im
Haus. An der nächsten Glastür kommen ihm vier Schüler entgegen. Selbstverständlich
wartet Herr Krüger bis alle Schüler grußlos passiert haben, bevor er es wagt,
die Tür in der Gegenrichtung zu passieren. Ist ja auch klar, er ist nur der
Dienstleister, die Kids sind die Kunden ... O.k., Erwachsenen an der Tür den
Vortritt zu lassen, scheint nicht mehr angesagt zu sein.
In seiner Klasse angekommen, hat er nicht viel Zeit seine Materialien bereitzulegen,
denn dort kommen bereits die ersten beiden Mädchen aus deiner Klasse auf ihn
zu: „Haben Sie die Tests korrigiert?“ „Guten Morgen ... nein, das habe ich noch
nicht geschafft, aber bis nächste Woche will ich’s geschafft haben.“ „Häää, echt
nicht? Aber ich wollte gerne heute wissen, was ich geschrieben hab.“ Wie – die
Begrüßung zu Gesprächsbeginn ist auch abgeschafft worden?
Zur
Begrüßung der schließlich gesamten Klasse hängen die Schüler halb auf den
Stühlen, halb auf dem Tisch abgestützt, zwei Jungen haben noch ihr Basecap auf
dem Kopf, drei kauen Kaugummi. Genervt in der Gegend rumguckend warten sie
darauf, wie nasse Säcke wieder auf die Sitzflächen prallen zu können.
Verstanden, Körperspannung und Höflichkeitsmindeststandards sind ebenso
abgeschrieben worden.
Als der Unterricht beginnt und Herr Krüger wiederholend einleitet
„Erinnert euch bitte an die letzte Stunde. Könnt ihr mir einige Punkte nennen,
die von Bedeutung sind, wenn man die Veränderungen im Nahen Osten zwischen 1950
und heute ansieht?“ kommt ein plumpes „Öl!“ als Antwort von irgendwoher.
„Entschuldigung, kann in dieser Klasse schon jemand ganze Sätze sprechen?“
„Wegen Erdöl“ ruft Heidi rein. „Hey, ihr könnt schon Zwei-Wort-Sätze, super!“
ulkt Herr Krüger und notiert auf seiner Lost-List: Melden und in ganzen Sätzen
sprechen: Abgeschafft!
Ist auch was dazugekommen? Ja, ein paar Neuerungen haben die
Schullandschaft erobert:
Die
Gespräche sind persönlicher geworden. Schüler wenden sich häufiger an Lehrer
als Ratgeber in persönlichen Angelegenheiten als früher. Dabei wird es oft sehr
persönlich, mitunter ZU persönlich, wie kürzlich Kollegin Knick erfuhr. Eh sie
sich’s versah, erzählte ihr Antonia, dass sie demnächst eine Abtreibung hat,
weil ihr Freund das letzte Mal keine Kondome dabeihatte und aufpassen wollte bis
sie dann ihre Tage nicht bekam ... Ja, sie sind persönlicher geworden, die Kids
von 2015. Nur – will man das immer alles so dezidiert wissen?