Donnerstag, 23. April 2015

Oktopus


Ein typischer Montag. Der Stundenplan ist nonstop gefüllt und Herr Krüger darf die letzte Stunde – es ist mittlerweile die achte Stunde und 14 Uhr, also mitten im physiologischen Leistungstief des Menschen – in seiner siebten Klasse unterrichten. Dies ist, wie er schon oft erfahren konnte, die Höchststrafe, weil die Kids bereits sieben Stunden mehr oder weniger still sitzen mussten und dann ... schlägt für Herrn Krüger montags häufig die letzte Stunde.

Dann noch Geografie zu unterrichten ist eigentlich unmöglich; Herr Krüger kann schon froh sein, wenn die Schüler dann überhaupt das Datum mitbekommen und ein rotes Kreuz in den Kalender machen, falls sie es aufgeschrieben haben sollten. Dennoch bemüht er sich auch an diesem Montag, Inhalte zu vermitteln. Heute soll es um den kompetenten Umgang mit dem Atlas gehen, um das Finden der richtigen Karte usw. Doch so sehr sich Herr Krüger auch bemüht, es ist keine echte Arbeitsatmosphäre in die Klasse zu bekommen. Zu quirlig ist der Haufen seiner Siebtklässler und zu viele Störungen geschehen gleichzeitig, sodass er nicht überall und zum selben Zeitpunkt ermahnen und für Ruhe sorgen kann. Er kann gar nicht so schnell gucken, geschweige denn reagieren, wie seine Schüler dieses verlangen. Mitunter fordert der Job von Herrn Krüger ja auch Handgreiflichkeiten, etwa dann, wenn es darum geht, Maßnahmen durchzusetzen. Dies kann das bloße Umsetzen des Arbeitsmaterials an einen Extratisch sein, wenn der betroffene Schüler sich umsetzen soll, oder im Rahmen der Veränderung der Tischordnung, wenn der Lehrer mit zupackt.

In dieser schwierigen achten Stunde hatten natürlich nicht alle Schüler ihre Bücher dabei, sodass wieder einmal der berühmte ‚Plan B‘ hermusste: ein Buch pro Tisch und Zusammensetzungen, die nicht selten Nebenwirkungen haben, zu denen man keinen Arzt oder Apotheker befragen kann.

Als Herr Krüger merkt, dass er leider nur zwei und nicht acht Arme hat, kommt ihm eine Idee, wie dem vielleicht Abhilfe geschaffen werden könnte: Wäre es wohl möglich, Oktopoden zu züchten und diese in den Unterricht zu holen? Auf dem Kopf der Achtfüßer könnte sich jeweils ein Chamäleon niederlassen, das – um nicht aufzufallen – seine Farbe dementsprechend natürlich anpasst, als Beobachter aber die ideale Ergänzung ist, weil es seine Augen unabhängig voneinander bewegen kann und die Schüler so besser im Blick hätte (auch wenn sich Herr Krüger mittlerweile einen Panoramablick angeeignet hat). Und da Oktopoden als sehr intelligent gelten, könnte man sie zweifelsohne als Unterrichtshilfe für zahlreiche Aufgaben ausbilden:

Notwendige Zwangsumsetzungen wären z. B. leicht auszuführen, weil der Krake die Schüler mit seinen Saugnäpfen problemlos am Kopf packen, kurz durch die Luft wirbeln und dann woanders absetzen könnte. Herrn Krüger begeistert seine Idee. Heute hätte der Oktopus auf sein Geheiß z. B. Marco den Kopf verdreht. Nicht, weil dieser sich verliebt hätte, sondern um ihn wieder auf sein Blatt gucken zu lassen, von dem er viel zu oft aufschaut und dann sogenanntes ‚Leuchtturmverhalten‘ zeigt. Dieses ist daran zu erkennen, dass sich der Kopf fortwährend dreht und dreht, immer mit der Maßgabe, alle zu erreichen und keine Ecke des Raumes zu übersehen.

Der Oktopus hätte bei seiner Auswahl hier garantiert immer irgendeinen Arm freigehabt. Zeitgleich hätte heute ein anderer Arm einen Atlas von Heidis auf Piets Tisch gelegt, weil dieser seinen vergessen hat, Heidi sich aber aus purer Opposition weigert, ihren Piet zu leihen. Die Arme drei und vier hätten am Tisch vorn ausgeholfen, an dem Marlon und Hakan hilflos im Atlas blättern ohne die richtige Karte zu finden. Arm fünf hätte den eigenen Tintenvorrat angezapft, um Pierres Füller zu betanken. Arm sechs und sieben hätten mit ihren starken Saugnäpfen zwei Tischgruppen zusammengestellt, um der akuten Buchnot zu begegnen. Arm acht hätte sich mit Arm eins abgewechselt, um verschiedene Schüler mit Leuchtturmstörungen wieder einzunorden.

Und das alles ... gleichzeitig! Toll! Herr Krüger hätte Zeit für die Notengebung, kleine Hilfestellungen und könnte sich womöglich sogar leisten, mitten im Unterricht einen Kaffee zu trinken. Selbstverständlich bliebe auch ausreichend Zeit, um dem arbeitenden Weichtier hin und wieder das ein oder andere Beutetier zu reichen. Herr Krüger beschließt, das in der nächsten Gesamtkonferenz vorzuschlagen.

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