Schon vor
ein paar Wochen hatte Herr Krüger gedacht, dass Wochenenden ganz ihm gehören
bzw. er unbehelligt und vor allem unbeschadet Kinobesuche wagen kann. Aber
gerade, was das ‚unbeschadet‘ betrifft, muss er eine andere Erfahrung machen,
die ihn eines besseren belehrt; erst neulich im Kino und heute, als er am
Donnerstagmorgen zur Schule fährt. Die Strecke kennt sein Auto inzwischen schon
im Schlaf und fährt sie von ganz alleine – praktisch sowas!
Herr
Krüger ist da eigentlich nur noch der Beobachter, wie man diese Strecke am
besten bewältigt, denn ein paar Hürden gibt es zu nehmen. Zunächst ist da die
Baustelle, an der die Straße einspurig wird, dann folgt die Schule in der
30er-Zone, in der all die Vatis und Muttis zeigen, was man so Verkehrstörendes mit
Autos machen kann: nicht blinken, schlecht parken, über die Straße hinweg bei
geöffneter Autotür diskutieren, umständlich über beide Spuren eine
7-Punkt-Wendung versuchen usw. Schließlich ist da dann noch einen Kilometer
später eine zweite 30er-Zone, ein bisschen nervig, wenn man morgens in Eile
ist, aber ist halt so. Obwohl diese Zone nach einer bestimmten Kreuzung zu Ende
ist, gibt es immer wieder Autofahrer, die dieses nicht sehen und im
Schneckentempo bleiben. So auch heute und Herr Krüger fängt an, vor sich
hinzumeckern: „Jetzt fahr doch mal ... kann doch nicht so schwer sein, nach den
Verkehrsregeln zu fahren und den Verkehrsfluss NICHT zu behindern ...“
Mal
rechts, mal links am behindernden Toyota Yaris vorbeischielend analysiert
Herr Krüger, wer wohl am Steuer sitzt. Er sieht nicht viel, aber immerhin
genug, um zu schlussfolgern, dass es sich um eine junge, weibliche Fahrerin
handelt. Einen Beifahrer scheint es auch zu geben, er sieht männlich aus, wie
Herr Krüger aus der Kurzhaarfrisur schließt, die nicht an der Kopfstütze ab und
zu beim Kopfdrehen als Pferdeschwanz vorbeibaumelt.
„Endlich“
... Herr Krüger kann überholen und wirft einen neugierigen Blick nach rechts,
als er überholt. Er hatte Recht, ein junges Mädel sitzt am Steuer, daneben ...
ja, eindeutig der Papa, wobei ... ups ... Herr Krüger guckt schnell ein
bisschen weiter nach links, als er noch einmal die Fahrerin mustert und eine
Schülerin erkennt, die schüchtern und vorsichtig zur Schule kriecht, bevor Papa
vermutlich weiter zur Arbeit braust – irgendwie muss er die durch die Fahrweise
seiner Tochter verlorene Zeit ja aufholen. Herr Krüger lässt die Schülerin
hinter sich und hat zum Glück geparkt, als er beim Passieren des Schultors
sieht, wie sie langsam heranrollt.
Zwei Tage
später. Herr Krüger hat einen kurzen Tag. Er muss nur zwei Stunden unterrichten
und verlässt die Schule noch am Vormittag. Als er sich über den Kofferraum seines
an der Straße geparkten Beatles beugt und seine Schulsachen verstaut, merkt er,
wie ein Auto neben ihm auf der Straße hält und das Fenster herunterlässt. Laute
Musik – irgendein modernes Technozeug – dringt an sein Ohr. ‚Bitte lass es keinen
Schüler sein, der angeben will ...‘ fleht Herr Krüger leise, als „Hallo Herr
Krüger ...“ ihn dazu zwingt, nun doch den Kopf nach links zu drehen und den
Gruß zu erwidern. Er erkennt Max, einen seiner Oberstufenschüler, der zwar im
Unterricht kaum was sagt, an diesem Morgen aber definitiv angeben wollte, dass
er einen Mercedes 190 fährt. Nicht gerade das neuste Modell, aber immerhin
keinen Kleinwagen. Max grinst breit und dreht nachsichtig die Lautstärke seines
Autoradios zurück, aber zum Glück kommt ein Auto hinter Max, sodass er
weiterfahren und Herr Krüger nicht weiter mit ihm Smalltalk betreiben muss.
Dass seine Schüler jetzt auch alle mit dem Autofahren anfangen und Herr Krüger damit nicht
mehr die Schule hinter sich lassen und wegfahren kann, sondern immer damit
rechnen muss, dass auf offener Straße ... eine Schülerin oder ein Schüler mit seinem Auto
querschießen kann, beunruhigt Herrn Krüger, weiß er doch, wie wenig erwachsen
manche seiner Schützlinge noch sind. Und ob das dann mehr Sicherheit für Kinder bringt ...
Kino ohne
Schüler geht nicht mehr, Autofahren nun also auch nicht mehr. Ob es noch mehr
gibt, was Herr Krüger nicht mehr ohne Schüler machen kann?
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