Montag, 20. April 2015

Noch weniger alleine



Schon vor ein paar Wochen hatte Herr Krüger gedacht, dass Wochenenden ganz ihm gehören bzw. er unbehelligt und vor allem unbeschadet Kinobesuche wagen kann. Aber gerade, was das ‚unbeschadet‘ betrifft, muss er eine andere Erfahrung machen, die ihn eines besseren belehrt; erst neulich im Kino und heute, als er am Donnerstagmorgen zur Schule fährt. Die Strecke kennt sein Auto inzwischen schon im Schlaf und fährt sie von ganz alleine – praktisch sowas!

Herr Krüger ist da eigentlich nur noch der Beobachter, wie man diese Strecke am besten bewältigt, denn ein paar Hürden gibt es zu nehmen. Zunächst ist da die Baustelle, an der die Straße einspurig wird, dann folgt die Schule in der 30er-Zone, in der all die Vatis und Muttis zeigen, was man so Verkehrstörendes mit Autos machen kann: nicht blinken, schlecht parken, über die Straße hinweg bei geöffneter Autotür diskutieren, umständlich über beide Spuren eine 7-Punkt-Wendung versuchen usw. Schließlich ist da dann noch einen Kilometer später eine zweite 30er-Zone, ein bisschen nervig, wenn man morgens in Eile ist, aber ist halt so. Obwohl diese Zone nach einer bestimmten Kreuzung zu Ende ist, gibt es immer wieder Autofahrer, die dieses nicht sehen und im Schneckentempo bleiben. So auch heute und Herr Krüger fängt an, vor sich hinzumeckern: „Jetzt fahr doch mal ... kann doch nicht so schwer sein, nach den Verkehrsregeln zu fahren und den Verkehrsfluss NICHT zu behindern ...“

Mal rechts, mal links am behindernden Toyota Yaris vorbeischielend analysiert Herr Krüger, wer wohl am Steuer sitzt. Er sieht nicht viel, aber immerhin genug, um zu schlussfolgern, dass es sich um eine junge, weibliche Fahrerin handelt. Einen Beifahrer scheint es auch zu geben, er sieht männlich aus, wie Herr Krüger aus der Kurzhaarfrisur schließt, die nicht an der Kopfstütze ab und zu beim Kopfdrehen als Pferdeschwanz vorbeibaumelt.

„Endlich“ ... Herr Krüger kann überholen und wirft einen neugierigen Blick nach rechts, als er überholt. Er hatte Recht, ein junges Mädel sitzt am Steuer, daneben ... ja, eindeutig der Papa, wobei ... ups ... Herr Krüger guckt schnell ein bisschen weiter nach links, als er noch einmal die Fahrerin mustert und eine Schülerin erkennt, die schüchtern und vorsichtig zur Schule kriecht, bevor Papa vermutlich weiter zur Arbeit braust – irgendwie muss er die durch die Fahrweise seiner Tochter verlorene Zeit ja aufholen. Herr Krüger lässt die Schülerin hinter sich und hat zum Glück geparkt, als er beim Passieren des Schultors sieht, wie sie langsam heranrollt.

Zwei Tage später. Herr Krüger hat einen kurzen Tag. Er muss nur zwei Stunden unterrichten und verlässt die Schule noch am Vormittag. Als er sich über den Kofferraum seines an der Straße geparkten Beatles beugt und seine Schulsachen verstaut, merkt er, wie ein Auto neben ihm auf der Straße hält und das Fenster herunterlässt. Laute Musik – irgendein modernes Technozeug – dringt an sein Ohr. ‚Bitte lass es keinen Schüler sein, der angeben will ...‘ fleht Herr Krüger leise, als „Hallo Herr Krüger ...“ ihn dazu zwingt, nun doch den Kopf nach links zu drehen und den Gruß zu erwidern. Er erkennt Max, einen seiner Oberstufenschüler, der zwar im Unterricht kaum was sagt, an diesem Morgen aber definitiv angeben wollte, dass er einen Mercedes 190 fährt. Nicht gerade das neuste Modell, aber immerhin keinen Kleinwagen. Max grinst breit und dreht nachsichtig die Lautstärke seines Autoradios zurück, aber zum Glück kommt ein Auto hinter Max, sodass er weiterfahren und Herr Krüger nicht weiter mit ihm Smalltalk betreiben muss.

Dass seine Schüler jetzt auch alle mit dem Autofahren anfangen und Herr Krüger damit nicht mehr die Schule hinter sich lassen und wegfahren kann, sondern immer damit rechnen muss, dass auf offener Straße ... eine Schülerin oder ein Schüler mit seinem Auto querschießen kann, beunruhigt Herrn Krüger, weiß er doch, wie wenig erwachsen manche seiner Schützlinge noch sind. Und ob das dann mehr Sicherheit für Kinder bringt ...


Kino ohne Schüler geht nicht mehr, Autofahren nun also auch nicht mehr. Ob es noch mehr gibt, was Herr Krüger nicht mehr ohne Schüler machen kann?

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