Mittwoch, 25. März 2015

Messie-Alarm



Der Lehrerjob verlangt neben diversen Kompetenzen der jeweiligen Person und einer gelungenen Unterrichtsstruktur auch einen angemessenen Medieneinsatz. Medien haben eine große Bandbreite und das ist gut so, denn viele Themen verlangen nach unterschiedlichen Medien, ob es Arbeitsblätter, Modelle, Zeitungen, geometrische Körper, Bücher, Bälle, Realobjekte oder andere Medien aus der schier unendlichen Liste sind.
Dies hat zur Folge, dass junge Lehrer, wenn sie ihre Ausbildung beginnen, ganz nebenbei zu Messies ausgebildet werden – ohne jegliche Zusatzkosten. Alles, was nicht niet- und nagelfest ist, wird beäugt, wenig kritisch bewertet und im Zweifelsfalle eingesackt. Man weiß ja nie, wofür man es noch gebrauchen könnte. Wie gut ein Lehrer in dieser Disziplin ausgebildet ist, zeigt sich besonders auf Bildungsmessen bzw. den Messebesuchern, die mittlerweile bereits mit Koffern anreisen, um ausreichend Stauraum für die angebotenen Give-aways zur Verfügung zu haben. Als Herr Krüger seit längerer Zeit zum ersten Mal wieder die Bildungsmesse besucht, zählt er deutlich zu den weniger erfahreneren Besuchern, denn er hat keinen Koffer dabei, was zur Folge hat, dass er stattdessen sieben Baumwolltaschen und neun Tüten füllen muss, die ihm schon bald tief in die Hände schneiden. Außerdem hat er binnen kürzester Zeit mehrere graue Streifen auf seinen heute Morgen noch frisch geputzten Schuhen und Druckstellen an den Füßen, weil immer wieder ein Profi mit Rollkoffer querkommt und Herr Krüger seine Füße nicht so schnell in Sicherheit bringen kann.
Als Herr Krüger gefühlte zwölf Stunden später zurück in Berlin ist, offenbart sich das Desaster mit dem Betreten seines Arbeitszimmers. Das Abstellen der Taschen und Tüten ist noch wohltuend erleichternd, das Sortieren und strukturierte Verstauen der neuen, potentiellen Unterrichtsmedien stellt sich jedoch als echtes Problem heraus, denn ... alle Regale sind voll. Nicht, dass Herr Krüger das nicht gewusst hätte, aber dennoch zog es ihn zur Messe. Und nun!?
Herr Krüger wendet die Drittel-Technik an. Das erste Drittel der frisch erworbenen Beute transportiert er in die Schule, in der Hoffnung, ausreichend Stauraum zu finden, das zweite Drittel muss – egal wie – im übervollen Regal verstaut werden und das letzte Drittel ... Es kennt seine Zukunft noch nicht und steht voraussichtlich für die nächsten zwei Monate im Arbeitszimmer im Weg.
Als Herr Krüger am Montag nach dem Messebesuch das Lehrerzimmer betritt, sieht er es mit ganz anderen Augen, denn durch seinen suchend-umherstreifenden Blick bemerkt er erst, wie verkramt es ist. Unterm Fensterbrett stapeln sich jede Menge Zeitungen, die seit vier Jahren dort liegen, wie das Datum verrät. Zwei Fenster weiter hat jemand einen Teewagen platziert, in dem alte Fachzeitschriften vor sich hin gilben. Auf dem Schrank mit den Postfächern stapeln sich Ordner, Kartons, eine eingestaubte Gitarre, eine Holzkiste unbekannten Inhalts, ein Globus und Stapel über Stapel mit alten Kopien.
Nachdem Herr Krüger die Randbedingungen des Lehrerzimmers gescannt hat, fallen ihm auch die unterschiedlichen Arbeitsplätze der Kolleginnen und Kollegen auf. Ungefähr die Hälfte hält so viel Ordnung, dass man die Farbe der Tische noch erkennen kann. Bei der anderen Hälfte allerdings finden sich ebenfalls Kopien über Kopien, Hefter, Mappen, Papp- und Plastikhüllen, Stifte, hin und wieder ein Locher, Ablagen und vieles mehr, was in einem Fachgeschäft für Bürobedarf erhältlich ist.
Drei Arbeitsplätze fallen besonders auf: An dem einen sitzt eine Kollege, der im wahrsten Sinne des Wortes ein Hochstapler ist, dem es offenbar nicht gelingt, seine Messie-Affinitäten hin und wieder zu dämpfen. Stattdessen hat er sich im Laufe der Jahre eine immer breitere Basis – mittlerweile über drei Arbeitsplätze – geschaffen, die ein derartiges Stapelwesen erst möglich macht. Der zweiten Kollegin ist es immerhin gelungen, ihr Messie-Dasein auf saubere DIN-A-4-Stapel zu spezialisieren, auch wenn diese eine beachtliche und mitunter sogar schwindelerregende Höhe erreicht haben. Bei Kollegin Nummer drei schließlich muss man wissen, dass sie überhaupt an der Schule arbeitet, denn man sieht sie selten und ihr Sitzplatz sieht so aus, als sei er die Resteecke des Lehrerzimmers, in der alle Kollegen das hinterlassen, für das sie keine Verwendung finden.
Ja, Lehrer werden zu Messies gemacht, ob sie wollen oder nicht. Auch der Beipackzettel zur Berufsbeschreibung weist im Kleingedruckten nicht darauf hin. Eine einzige kleine Hintertür gibt es: Der Schulwechsel. Nur ein Schulwechsel bietet die Möglichkeit, einen Großteil der angehäuften Materialien und Medien auszudünnen und zu verschlanken. Aber wie oft wechselt man schon die Schule? Spontan muss Herr Krüger daran denken, wie es wohl wäre, wenn man die Schule an einem Tag im Jahr wie zum Schlussverkauf öffnen würde: Alles muss raus ... aber das bleibt wohl eher ein Hirngespinst seiner Phantasie.

Sonntag, 22. März 2015

Anonym oder Straßenstrich



Einmal im Jahr begegnen Herrn Krüger auf dem Schulgelände Gestalten, von denen man nicht genau weiß, ob sie sich verlaufen haben. Sie sehen nicht wie normale Schüler aus, auch nicht wie diejenigen, die einen besonders kreativen Kleidungsstil haben. Man hat vielmehr das Gefühl, dass man sich mitten im Kölner Karneval befindet, aber auch das trifft’s nicht, schließlich arbeitet Herr Krüger ja in Berlin.
Das erste Jahr, in dem er diesen Gestalten begegnete, hatte er kurz überlegt, ob er vielleicht die Faschingszeit verpasst hatte, aber nach wenigen Augenblicken war klar, hier hatte er es mit einer besonderen Spezies von Mensch zu tun: Abiturienten.
Seit einigen Jahren haben diese es sich zur Aufgabe gemacht, sich eine Woche lang nach Absprache zu täglich wechselnden Mottos zu kleiden. Die Kategorien werden von Schule zu Schule festgelegt, zeigen aber durchaus Ähnlichkeiten. Herr Krüger hat bisher ‚ganz alt/ganz jung‘, ‚die früheren Jahre‘, ‚im Schlafgewand‘, ‚Anonym‘, ‚Assi‘, und ‚gruselig‘ bewundern dürfen.
Herr Krüger mag diese Wochen irgendwie. Gut, er hat in dieser Zeit noch nicht in einem Abiturjahrgang unterrichtet und hatte demzufolge nicht 25 Greise o. ä. im Unterricht zu sitzen. Er kann also nur von dem sprechen, was er außerhalb des Unterrichts gesehen hat, aber das hat ihm immer Spaß gemacht. Manchmal sind Schüler in diesen Wochen einfach nur bunt und fallen ein bisschen mehr auf als sonst. Manchmal sind sie aber regelrecht ansehnlich und sehen - endlich mal - gut gekleidet aus.
„Hallo Herr Krüger!“ Herr Krüger dreht sich um und erkennt Martin. Die beiden kennen sich seit acht Jahren, einige Jahre hatte Martin bei Herrn Krüger auch Unterricht. Die beiden verstehen sich gut und plaudern zuweilen kurz miteinander, wenn es die Zeit erlaubt. „Hallo Martin, wie läuft die Mottowoche?“ „Sie sehen ja, bestens oder gefalle ich Ihnen nicht? Mit diesen Worten bringt sich Martin in Pose. Er steckt in einem schwarzen Anzug mit einer doppelt geknüpften Jacke, die von seinem dicken Bauch – einem unförmigen Kissen – auseinandergedrückt wird. Wie ein vornehmer Herr aus den 20er Jahren streicht er immer wieder über seinen sorgfältig aufgeklebten, gezwirbelten Oberlippenbart und rückt seinen schwarzen Hut zurecht. Als Krönung seines Outfits stützt er sich elegant mit einem Holzstock ab, der das Gesamtbild seiner Erscheinung abrundet. „Ich muss gestehen, du siehst echt gut aus, Martin, da kann ich nicht widersprechen. Vielleicht sollte es so etwas öfter geben, dass ihr euch verkleidet. Einige haben echt tolle Outfits ausgesucht.“
Eine aufgetakelte, mit Ketten, bunten Tüchern und weiten Umhängen kostümierte, alte-junge Abiturientin passiert die beiden, sodass sich sowohl Martin als auch Herr Krüger nach ihr umdrehen, da sie nicht nur gut verkleidet ist, sondern auch eine Körperspannung und Bewegungen an den Tag legt, die ihr Kostüm perfekt ergänzen. Leicht gebeugt zieht sie eine Kamera aus der Tasche, die an einem Teleskoparm befestigt ist und so aussieht, als würde sie ein Monokel vor ihr Gesicht halten.
„Cool, oder?“ wendet sich Martin Herrn Krüger zu. „Allerdings“, antwortet dieser. Ihr solltet unbedingt Gruppenfotos machen!“ „Es gibt schon ganz viele, aber den ganzen 13. Jahrgang bekommen wir bestimmt nicht zusammen.“ „Na ja, ich muss auch wieder weiter, Martin ... was ist morgen dran?“ „Anonym ...“ „Ich bin gespannt, mach’s gut!“ „Sie auch ... tschüss, Herr Krüger!“
Einen Tag später hat Herr Krüger das Gespräch vergessen und geht wie jede Woche in den Biologieraum. Wie gewohnt beginnt er seinen Unterricht. Als er nach ungefähr 15 Minuten gerade einen Blick in sein Botenbuch wirft, schreckt er vom hysterischen Kreischen seiner Mädchen hoch. Als er aufschaut, bemerkt er gerade noch, wie ein Junge auf seinem Stuhl landet. Er hatte sich so erschrocken, dass er von seinem Stuhl regelrecht ein paar Zentimeter abgehoben hatte. Während die eine Hälfte der Klasse sich von dem Schreck erholt und die andere Hälfte über sie lacht, erfasst Herr Krüger den Grund der Schreckparade. Die ‚anonymen‘ Abiturienten hatten sich unterhalb der Fensterfront versammelt und waren dann gleichzeitig hochgesprungen. Ihre weißen Overalls mit den bleichen Masken sowie das unerwartet plötzliche Auftauchen hatten gewirkt. Noch während der Streich der Abiturienten diskutiert wird, taucht am gegenüberliegenden Oberlicht-Fenster ein weiterer ‚Anonymer‘ auf. „Wie kommen die denn da oben hin?“ ruft ein Mädchen, doch niemand kann antworten, denn in diesem Moment fliegt die Tür auf und sechs anonyme Schüler stürmen den Raum, setzen sich ein paar Sekunden auf freie Plätze oder gruseln die eine oder andere Schülerin an. Der Kreischpegel erreicht ein neues Hoch und auch noch als die wildgewordene Horde wieder den Raum verlassen hat, schlagen die Emotionen der aufgepeitschten Schüler wie Sturmwellen aufeinander und brauchten eine ganze Weile, um sich wieder zu beruhigen.
Als Herr Krüger an diesem Tag nach Hause fährt und ein Gymnasium passiert, machen Mädchen, die am Rande einer Traube von Schülerinnen und Schülern steht, Bewegungen, mit denen sie deutlich machen wollen, dass Herr Krüger langsamer fahren solle. Beim zweiten Hingucken sieht er, dass die Mädchen äußerst leicht und knapp bekleidet sind. ‚Alles klar‘, denkt er sich, ‚die ahmen an dieser Schule heute wohl die leichten Mädchen vom Straßenstrich nach – gewagt, gewagt, aber wenn ihr meint ...‘
Da es Freitag ist, ist die Mottowoche vorbei, aber Herr Krüger ist schon gespannt auf das nächste Jahr!

Mittwoch, 18. März 2015

Stillarbeit?



Jedes Thema braucht in der Schule seine Zeit, ist aber auch irgendwann zuende, auch das Mikroskopieren. Dennoch gibt es abschließend noch ein paar Dinge, die theoretisch erledigt werden müssen. 
Aus diesem Grund teilt Herr Krüger nach einer entsprechenden Einführung Arbeitsblätter aus. Unruhe tritt ein - wie üblich. Welches Datum ist heute?" fragt ein offensichtlich sorgfältig arbeitender Schüler aus dem Off, was Herr Krüger mit „Heute ist der 12.3.“ unmittelbar beantwortet. Sobald der letzte Zettel liegt, schreibt er zudem 12.3.2005 an die Tafel und will damit seine Schüler testen. Die Reaktionen lassen nicht lange auf sich warten.

"Da fehlt eine Eins, Herr Krüger!" ruft Marco spontan und laut in den Raum. Still nimmt Herr Krüger ein Stück Kreide in die Hand – ja, im Biologieraum arbeitet man noch in der Kreidezeit –und schreibt eine „1“ hinter das Datum, sodass jetzt 12.3.20051 an der Tafel steht. ‚Ob wohl jemand merkt, dass diese Angabe ein bisschen unpräzise war‘, fragt sich Herr Krüger, nimmt aber lediglich einige still amüsierte Gesichter wahr. Marco selbst bringt er nicht dazu, seine Formulierung zu überdenken. Stattdessen fliegt ein zweites "Welches Datum ist heute?" aus einer anderen Ecke quer durch den Raum ...

„Bitte lest die einzelnen Aufgaben und bearbeitet sie schriftlich auf einem Blatt aus eurem Block. „Ich hab keinen Block, Herr Krüger.“ „Ich auch nicht.“ „Ich auch nicht ...“ Wildes Blätterspenden führt dazu, dass ein Rascheln den Raum erfüllt. „Welcher ist heute?“ Zum dritten Mal hat jemand nichts mitbekommen. Herr Krüger reagiert nicht mehr, denn glücklicherweise übernimmt das jetzt ein Mitschüler: „Mann, hat er doch schon längst gesagt. Außerdem steht’s an der Tafel.“ „Hä, wieso steht denn da 12.03.20051 ... Herr Krüger, das Datum ist falsch.“ Damit ist noch immer keine Stille eingekehrt, sondern sechs Schüler haben sich umgedreht - bereit das Thema des zweifelhaften Tafelanschriebs ausführlich zu diskutieren. „Mann, raffst du’s nicht? Herr Krüger hat das absichtlich gemacht ...“ „Hä, wieso sollte er denn ...“

„Alle-Kinder-schließen-jetzt-den-Mund-und-lesen“ greift Herr Krüger laut und entschlossen ein. Zwei Mädchen diskutieren weiter – offenbar darüber, welche Farbe von den Stiften aus der Federtasche die am besten geeignete ist, um damit zu schreiben. „A l l e ...“ wird Herr Krüger lauter. Tatsächlich, es wird stiller. Mmmm, endlich ... „Mann, jetzt lass mich doch mal in Ruhe“, schimpft Marie, weil Marco immer noch nicht mit dem Lesen begonnen hat. „Marco ...“ „Ich hab gar nichts gemacht ...“ „R U H E!“

Nach immerhin zwei Minuten tatsächlicher Stille hört man die ersten Stifte Buchstaben aufs Papier kritzeln, bis sich Jason meldet. Hilfsbereit geht Herr Krüger zu ihm. Schon als er sich ein wenig zu ihm runterbeugt, nimmt Herr Krüger zwei, drei unmittelbar entstehende Murmelherde wahr, was auch immer der Inhalt ist. Melina ist die nächste, die sich meldet und um Hilfe bittet: „Was sollen wir hier denn machen?“ Sie zeigt auf eine Tabelle. „Hast du schon mal die Aufgabe gelesen, die über der Tabelle steht?“ „Äh, nein, wieso ...?

Mit rollenden Augen lässt Herr Krüger Melina zurück, ohne ihre  Frage zu beantworten.



‚Jetzt lesen sie nicht einmal mehr! Ich glaube, mit Stillarbeit ist heute nicht mehr zu rechnen‘, seufzt Herr Krüger und nimmt wieder seinen Platz ein. Schade, dass die Schüler nicht merken, wie angenehm Stille sein kann.

Dienstag, 17. März 2015

Klausur



Wenn Schüler in Klausur gehen, ist das eine ganz eigene Erfahrung, die sich von den üblichen Unterrichtsstunden erheblich unterscheidet. Diese Erfahrung macht Herr Krüger nicht zum ersten Mal, allerdings weitaus bewusster als sonst, da er relativ spontan einen Kollegen vertreten muss.
Ebenso wie sich ehemals Ordensbrüder und Ordensschwestern in einen abgeschlossenen Teil des Klosters zurückgezogen haben, ziehen sich auch 2015 Schüler zurück, wenn auch nur in eine bedingte Abgeschiedenheit. Sie suchen – zwangsläufig und nicht freiwillig – ihr tiefstes Inneres auf und besinnen sich auf ihre Fähigkeiten und das, worauf es in der jeweiligen Klausur ankommt.
Für den heutigen Tag nun wurde Herr Krüger zum Prälaten benannt und steht der Klausur vor. Die 20 Schwestern und Brüder sind allerdings nicht im Schwarz-Weiß-Look der geistlichen Kuttenträger erschienen, sondern in ihrer Alltagskluft. Wie groß die Kluft zwischen den einzelnen Individuen ist, erfährt Herr Krüger nicht, da er die Wissensessenzen der Schüler nur bündelt, nicht jedoch korrigiert. Das wird der Kollege Bruder Klaus übernehmen.
Herrn Krüger bleibt nur der Blick auf die Tische und eifrig schreibende Schüler. In der Oberstufe erlebt man zum Glück selten, dass Schüler sich 89 Minuten zurücklehnen, nachdem sie eine Minute für das Schreiben von Name und Datum aufgebracht haben. Derartiges Verhalten ist zwar in der Regel selten, kommt aber hin und wieder in der Mittelstufe vor.
Stattdessen beobachtet Herr Krüger, wie die Federn über die Blätter fliegen und zusammengetragenes Gedankengut zu Papier bringen. Herr Krüger mag das Amt des Prälaten, zumal sich hier zeigt, was die Schüler schon alles gelernt haben.
Die Wissensergüsse werden nur von kleinen Zwischenmahlzeiten unterbrochen, die sich in Tupperboxen, Aluminiumpapier sowie Frischhaltefolie präsentieren und ein Angebot bereithalten, das von Knäckebrot über Kuchen und Obstsalat bis hin zu Müsliriegeln und Traubenzucker reicht.
Derweil findet vorne am Lehrertisch ein stilles Mikado-Treffen der gängigen Handygrößen statt, die in der Zwischenzeit eifrig Nachrichten Sammeln und zu einem kleinen Belohnungspaket zusammenschnüren. Immer wieder sieht Herr Krüger ein Telefon aufleuchten. Allerdings: Wer schreibt eigentlich zu dieser Zeit Nachrichten? Eltern, die ihr Kind fragen, wie es in der Klausur läuft und ob sie noch Hilfe brauchen? Freunde oder Freundinnen, die dem Adressaten einen Streich spielen wollen? Im Dunklen bekäme dieses kleine Handyturnier durch die Art der Lichtsignale bestimmt noch eine besondere Note. Allerdings – gehen Schüler 2015 ja auf jeden Fall im Hellen in Klausur. Es gibt eben doch einen Unterschied zwischen Klausuren im Mittelalter und Klausuren 2015.

Das Schönste allerdings an alledem ist diese Stille – herrrrlich! Wenn der Regelunterricht nur zu 50 % so leise und nervenschonend wie zu den Klausurzeiten wäre, würde Herr Krüger freiwillig jede Menge Prälatenämter übernehmen. Leider haben Jugendliche, besonders in der Mittelstufe, jeden Tag extrem viele Wörter zur Verfügung. Herr Krüger hat mal im Spiegel die Studie eines Linguisten gelesen, aus der hervorgeht, wie viele Wörter von einzelnen Altersgruppen, Geschlechtergruppen usw. am Tag durchschnittlich gesprochen werden. Die obersten Ränge belegen dabei Frauen und Mädchen, aber auch Jugendliche. In diesen beiden Stunden jedoch: Absolute Stille – na ja, fast Stille, denn natürlich toben vor der Tür die Kids aus den siebten Klassen mächtig umeinander. Aber Herr Krüger blendet das weitgehend aus und – genießt!

Fazit? Prälaten-Tätigkeiten haben positive und negative Aspekte. Positiv ist, dass man sich nicht wie in normalen Vertretungsstunden das Clownskostüm überstreifen und ein Motivationsfeuerwerk veranstalten muss, sondern sich mit dem Austeilen des Klausurmaterials begnügen und die Stille genießen kann.
Negativ ist, dass man an den Raum gefesselt ist, ihn nicht einmal für menschliche Bedürfnisse verlassen kann und nur bedingt die Gelegenheit erhält, etwas zu lesen. Schließlich ist man ja als Prälat zur Aufsicht verpflichtet.

Und was die Schüler betrifft, die ja ‚in Klausur‘ sind: Es gibt zwei Möglichkeiten – Lernen oder Beten!