Montag, 9. März 2015

Das Wandern ist des Müllers Lust



„Frau Knick?“ „Ja, Herr Krüger?“ „Wir müssen noch den nächsten Wandertag planen.“ „Ach ja, der Wandertag. Was machen wir denn?“ „Na ja, also ich glaube, das Wandern sollten wir nicht allzu ernst nehmen. Ich meine sind Wandertage überhaupt noch zeitgemäß? Was soll eigentlich dieser Spruch ‚Das Wandern ist des Müllers Lust?‘ Ich heiße Krüger und nicht Müller und Schüler wollen heutzutage alles andere als wandern. Lust empfinden Sie dabei auch nicht; das trifft mittlerweile maximal für solche Wandertage zu, zu denen man mit ihnen auf die Bowlingbahn geht. Aber natürlich geht es auch schlecht, dass man Wandertage in Bowlingtage umbenennt. Wobei – wenn man die Schüler selbst fragt, was sie zum Wandertag gerne machen möchten, kommt als erstes „Kino“. Das ist nämlich das Einfachste.“

„Stimmt“, bestätigt Frau Knick, „man muss nichts tun, ausschließlich konsumieren: bewegten Bildern folgen und am besten auch noch ein paar gesunde Chipsinnlos inhalieren.“ „Vielleicht sollte man die Wandertage abschaffen und sie durch Kinotage ersetzen. Dann hätten wir auch weniger Arbeit und nicht so viele Nörgeleien zu ertragen.“ Beide lachen und entscheiden, dass sie die Schüler auf die Fährte eines Buches setzen, dass gerade im Unterricht gelesen wird, indem sie verschiedene Standorte – die Geschichte spielt in Berlin – ablaufen und ein Stück weit real werden lassen.



Vier Tage später finden sich Frau Knick und Herr Krüger im Bus wieder. Mühselig haben sie alle Schüler eingesammelt und schließlich das Oberdeck des Busses in Besitz genommen. Kaum sitzen die Schüler, sind die Handys in der Hand. Beinahe reflexartig erhebt sich Herr Krüger, geht mit dem Blick auf Hüft-bzw. Handyhöhe durch die Sitzreihen und schnappt sich das erste Handy. Die Schüler aus den Reihen drei und vier lassen ihre Telefone blitzartig verschwinden. In Reihe fünf ist das Handy nicht verschwunden, sodass Herr Krüger es – zack – als nächstes in der Hand hat. „Heeeeeyyyy ...“ folgt die promte Reaktion, die Herrn Krüger immerhin dazu bringt, mal aufzusehen. Ooooops ... im Eifer des Gefechts hat er einem Studenten das Handy aus der Hand gezogen. „Oh, Entschuldigung, man sieht ja, wir sind mit einer Horde Handyabhängiger hier und dachte ...“ entschuldigt sich Herr Krüger, und gibt augenblicklich das Handy zurück. Der junge Mann grinst: „Schon o. k., ich weiß, was Sie meinen.“

Glücklicherweise verläuft die U-Bahn-Fahrt ruhig und die Kids trotten träge, aber brav Herrn Krüger und Frau Knick hinterher. Erst, als sie vor dem Museum noch auf zwei später hinzustoßende Schüler warten, kommt richtiges Leben in die Klasse. Ein Windstoß reißt den Deckel einer Mülltonne ab, aber statt den Deckel für den Imbissbudenbesitzer festzuhalten, der so schnell nicht aus seinem Kabuff kommt, bleiben die Kids stehen, haben blitzschnell ihr Handy in den Kameramodus versetzt und filmen das Ereignis einschließlich des beschürzten Currywurstbraters, der hoffnungslos verspätet dem Deckel hinterherhechtet. „Weißt du, ich glaube, wir Erwachsenen sind einfach nicht offen genug, ulkt Herr Krüger. „Uns fehlt einfach ein bisschen der Blick für die wirklich spannenden Dinge des Lebens ... umherfliegende Mülltonnendeckel und so ...“

Als der Windstoß vorüber ist und dieser unglaubliche Vorfall ausreichend untereinander kommentiert wurde, folgt die Klasse ihren beiden Lehrern ins Museum. Da jedoch nicht alle mit dem angemessenen Verhalten in Museumsräumen vertraut sind, ist das Personal aufmerksam geworden. Im Eingangsbereich wird die Klasse nur gemustert, in den Ausstellungsräumen wird Herr Krüger jedoch gewahr, wie ein Museumswärter nach dem andern den Raum betritt. Dann finden sie sich paarweise, um im Bedarfsfalle schnell und kontrolliert eingreifen zu können. Um nicht allzu sehr aufzufallen, tarnen sich einige hinter antiken Säulen und historischen Statuen. Von Zeit zu Zeit schnellt dann einer der Männer hervor und ermahnt diejenigen, die einem der Exponate zu nahe kommen.

Als die Klasse die Ausstellungsräume wieder verlässt und Herr Krüger sich noch einmal umdreht, muss er zweimal hingucken. Die Wärter haben ich zu einer geschlossenen Reihe formiert, sich gegenseitig eingehakt und so den Raum hermetisch abgeriegelt, damit auch keiner auf die Idee kommt, sich doch noch einmal umzudrehen. ‚Ich weiß, ihr freut euch auf eure Art, wenn eine Schulklasse euer Museum wieder verlässt – verständlich‘ schmunzelt Herr Krüger in sich hinein.

Als Herr Krüger und Frau Knick wieder unter freiem Himmel stehen, atmet jeder auf seine Weise auf: Herr Krüger saugt die frische Luft ein, Frau Knick hält genießend ihr Gesicht in die Sonne und die Schüler ... richtig, zücken augenblicklich ihre Handys, um zu gucken, ob es irgendetwas gibt, was sie womöglich verpasst haben. Die Klassenlehrer lassen sie gewähren, zumal sie beide oft genug die Erfahrung machen mussten, dass Schüler unerträglich werden, wenn sie in der Pubertät ihren Willen nicht bekommen.

Aber dann kommt das Handyverbot doch noch zum Tragen, als Herr Krüger und Frau Knick ihre Bande gemächlich zum U-Bahnhof führen und es plötzlich einen metallig scheppernden Klang gibt. Unvermittelt drehen sich beide um und sehen Marco, der benommen auf den Steinen sitzt und um dessen Kopf ein paar Vögel kreisen. Er hatte seinen Kopf als Klangstab benutzt und damit das Straßenschild angeschlagen –vermutlich, weil er zu lange auf sein Handy geguckt hat. Nun lagen verschieden Teile seines Telefons und er am Boden, während seine Mitschüler nicht genau wissen, ob sie lachen oder ihm zu Hilfe kommen sollen. Vier von ihnen haben schon wieder die Handys im Anschlag, um das nächste Filmchen zu drehen, sodass Herr Krüger dann doch noch das Handyverbot ausspricht.

„Weißt du“, sagt Herr Krüger zu Frau Knick, „soo langweilig wie ich dachte, sind Wandertage doch nicht!“

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