Samstag, 7. März 2015

Von wegen alleine



‚Endlich Wochenende‘ denkt sich Herr Krüger und verspürt einen Motivationsschub, als er nach Hause fährt. Auch wenn der Lehrerjob keinen richtigen Feierabend kennt, weil er sich grundsätzlich von den Jobs unterscheidet, die an klassische Büro- oder Öffnungszeiten gebunden sind, bietet das Wochenende doch in der Regel gewisse Freiräume: Ausschlafen, in Ruhe mit unzähligen anderen Menschen durch Ikea schlendern, sich in einer Einkaufsmeile mit Menschenmassen tummeln, sich im Supermarkt in die Pfandflaschenrückgabeschlange stellen ... ja, so ein Wochenende ist schon reizvoll.
Für diesen Abend ist Herr Krüger verabredet, um endlich mal wieder ins Kino zu gehen und in eine komplett andere Welt abzutauchen ... dachte Herr Krüger, irrt sich aber gewaltig. Noch vor dem Betreten des Kinos sichtet er die ersten drei Schüler aus seiner Schule. Sie haben ihn nicht bemerkt – noch nicht. Herr Krüger drückt sich ein bisschen an den Wänden der Gänge entlang und bemüht sich, nicht weiter aufzufallen, obwohl er ja grundsätzlich alles andere als schülerscheu ist. Seine Bemühungen zeigen den gewünschten Erfolg und er schafft es erfolgreich bis in den Kinosaal. Hier ist noch nicht sehr voll und so bleibt noch ein bisschen Zeit zum Reden bis ...

Vier Mädchen im klassischen Teenageralter möchten passieren und lassen sich ausgerechnet neben Herrn Krüger nieder. Bis eben saß er noch unter Fremden, mehr oder weniger erwachsenen Menschen, von denen er außer seiner Begleitung niemanden kannte. Die vier Girlys kennt er zwar auch nicht, da sie allerdings unmittelbar nach der Einnahme ihrer Plätze synchron ihre Handtaschen auf dem Schoß platzieren, die Handys zücken und parallel noch miteinander quatschen, rutscht Herr Krüger bereits auf seinem Sitz hin und her. Als es dunkel wird und die Werbung anläuft, hofft er auf Ruhe, die ihm aber von seiner unmittelbaren Nachbarin nicht gegönnt wird. Ohne Rücksicht auf Verluste lässt sie den Spot ihres Handys aufblitzen.
‚Du hast dein Handy doch gerade erst weggesteckt, Mädchen‘, denkt Herr Krüger, aber seine Nachbarin hat wichtige Nachrichten zu schreiben, die Herr Krüger einfach mal mitliest. Wenn sie schon so penetrant im Kino schreibt, muss sie auch damit rechnen, dass ihr Nachbar mitliest – basta! „bin kino, süße, er ist nicht gekommen.“ ‚Als wenn das jetzt so wichtig ist, das hätte ja nun auch echt Zeit bis nach dem Kinobesuch gehabt.‘ Endlich steckt sie ihr Telefon weg und Herr Krüger entspannt zusehends. Coole Werbung, Herr Krüger rutscht tiefer in den Sitz ... smash ... wieder leuchtet das Handydisplay seiner Nachbarin. ‚Was denn jetzt noch, Mädel?‘ dreht Herr Krüger seinen Kopf nach links. „was guckst du denn für ein film?“ liest er die Nachricht ihrer Freundin. ‚Klar, natürlich keine Rechtschreibung und Grammatik beachtet ...‘ Herr Krüger war gerade auf dem Weg abzuschalten und jetzt fährt dieses kleine Biest neben ihm seine gedanklich-schulische Festplatte doch wieder hoch. Natürlich schreibt sie zurück, aber Herr Krüger kann nicht weiter mitlesen, weil er von den nächsten merkwürdigen Gestalten abgelenkt wird: „Stößchen ...“ hört er von hinten ein halbes Dutzend Frauen in den Endvierzigern, die mit echten Sektgläsern anstoßen. Kling – kling – kling – kling ... ‚Hört das nochmal auf? Sind wir hier in der Kneipe oder im Kino und wo habt ihr überhaupt die Sektgläser her?‘ Herr Krüger’s Festplatte ist nun hochgefahren und umfeldbedingt stehen all seine üblichen Antennen auf Empfang. „Lasst mich doch bitte alle in Ruhe ...“ Jetzt kramt das Mädel neben ihm in seiner Handtasche und knistert irgendeine Tüte mit figurfeindlichem Gummikram auf. Ein kurzer Blick auf ihre Statur zeigt, dass sie das öfter macht. Ihre figurbewusste Phase scheint dieses Girly noch nicht erreicht zu haben. ‚Außerdem nervt dein Geknister‘ denkt Herr Krüger – sichtlich genervt. Als die Tüte endlich auf ist und in die Richtung der anderen drei Mädels wandert, wird es endlich ruhiger.

Schließlich gelingt es den Hauptdarstellerinnen des Films, Herrn Krüger abzulenken und auch seine Nachbarin scheint letztlich entschieden zu haben, dass sie ruhig mehr vom Film sehen könnte, wenn sie schon mal Eintritt bezahlt hat. Herr Krüger richtet seine Aufmerksamkeit mehr und mehr zur Kinoleinwand und nimmt nur noch halb wahr, dass seine Nachbarin etwa zur Halbzeit des Films sogar noch ihre viel zu große Handtasche vom Schoß nimmt.

Fazit: Glücklicherweise ist Herr Krüger irgendwann doch noch ganz im Film versunken und hat alles andere um ihn herum ausgeblendet. Erst nach dem Film, als er die drei Knaben wiedersieht, die er vor dem Film erspäht hat, wird ihm bewusst: Lehrer sind irgendwie nie alleine!

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