Dienstag, 3. März 2015

Elternabend



Da Herr Krüger eine neue siebte Klasse bekommen hat, beginnt für ihn auch wieder der Kreislauf der Elternabende. Kurz vor dem ersten Elternabend erzählt Herr Krüger seiner Kollegin Frau Knick von seinen Erfahrungen in der Vergangenheit. „Weißt du, als ich noch in Kreuzberg gearbeitet habe, dauerten die Elternabende selten besonders lange. Von meinen 30 Schülern, waren ungefähr ein Dutzend Eltern da, von denen wiederum die Hälfte Cousins, Cousinen oder notfalls ihre Kinder mitbrachten, damit diese übersetzen konnten, was ich so gesagt habe. Und da ein Großteil der Eltern trotzdem nicht sonderlich viel verstanden haben dürfte, gab es auch wenig Nachfragen oder Diskussionen.

Das Kontrastprogramm habe ich dann hier im Bezirk erlebt. Der erste Elternabend damals in der siebten Klasse hatte Züge einer Massenveranstaltung, zu der zwei Eltern pro Schüler der Standard waren. Demzufolge mussten wir Stühle aus Nachbarräumen herbeischaffen und bildeten im Klassenraum so eine Gemeinschaft, die der von Sardinen in einer geschlossenen Konservendose gleicht. Allerdings konnten wir damals keinen Deckel aufdrehen, sondern nur Fenster und Türen öffnen, was mit fortschreitender Stunde auch nicht ausreichte, um genügend Sauerstoff in den Raum zu lassen. Stattdessen gab es immer jede Menge Zündstoff, den die Eltern im Gepäck hatten – warum auch immer. Immerhin, einige wenige Eltern gab es, die auch mal Worte der Anerkennung äußerten oder heimlich kleine Geschenke überreichten. Dies war wenigstens ein kleines Gegengewicht für die zahlreichen verbalen Tomaten und Orangen, die einige Eltern regelmäßig per E-Mail und auf Elternabenden warfen.

Aber diese Klasse bin ich ja mittlerweile los und die Eltern müssen jetzt alleine mit ihren Kindern zurechtkommen bzw. die Kinder mit ihren Eltern. jetzt bin ich ja hier. Mal sehen, was die neue Klasse für eine Elternschaft zu bieten hat.“



Schließlich ist der Termin gekommen und Frau Knick und Herr Krüger haben zum ersten Elternabend geladen. Einer der wichtigsten Tagesordnungspunkte ist die Wahl der Elternvertreter, schließlich ist es deren Gremium, innerhalb dessen sich die Eltern gegenseitig austauschen und aktiv werden sollen. Der Abend läuft gut an, die Beteiligung ist hoch, fast alle Eltern sind da und signalisieren Interesse. Dennoch war Herrn Krüger vorher schon klar, was zu einem bestimmten Zeitpunkt passieren würde und er behielt auch dieses Mal wieder Recht. Als es um die Wahlen der Elternvertreter geht, gleichen die Verhaltensweisen der Eltern dem Tarnverhalten im Tierreich. Diese passen sich im Tarnfalle ihrer Umgebung an und halten möglichst still. Heute bedienen sich die Eltern alternativer Tarntechniken. Die am häufigsten zu beobachtende Reaktion ist das schlagartige Abbrechen des Augenkontakts mit Frau Knick und Herrn Krüger. Wie durch einen synchronisierten Zufall müssen sich urplötzlich viele Eltern Notizen machen, einen kurzen, aber immens wichtigen Blick aufs Handy werfen oder noch mal in einem der ausgegebenen Merkblätter nachlesen. Andere Eltern nutzen die Vogel-Strauß-Politik und stecken den Kopf zwar nicht in den Sand, halten aber äquivalent die Hände vor die Augen in der Hoffnung vortäuschen zu können, dass Sie sich gerade in diesem Moment sammeln und sich dafür über ihr müdes Gesicht streichen müssen. Dass auch dieses eine Strategie ist, um nicht benannt oder angesprochen zu werden, ist Herrn Krüger seit Jahren nicht unbekannt. 

Lustigerweise wiederholt sich dieses Szenario zu jedem Elternabend aufs Neue, wenn es um das Schreiben des Protokolls geht, auch an diesem dritten Elternabend. Die Zahl der teilnehmenden Eltern ist bereits zurückgegangen und an die Stelle der Elternvertreterwahlen ist das Schreiben des Protokolls getreten. Als die Elternvertreter – ja, es haben sich schließlich doch noch welche gefunden – die Frage nach dem Protokollanten stellen ... zack ... brechen nahezu alle Blickkontakte ab und alle halten die Luft an. Nach einer Phase betretener Stille und Atemlosigkeit äußert eine Mutter vorsichtig: „Wenn mir jemand einen Stift gibt ...“ Beinahe reflexartig schnellt der Arm ihres Nachbarn herum und legt ihr einen Kugelschreiber hin. Das klackende Geräusch des Kugelschreibers lässt die übrigen Eltern einatmen, aufatmen und entspannen. Wieder einen Elternabend ohne Pflichten überstanden, wobei ... noch nicht ganz.



Die verschiedenen Punkte der Tagesordnung werden abgearbeitet, als zum Thema ‚Stimmung in der Klasse‘ plötzlich ein Vater querschießt. Sein Sohn ist neu in der Klasse, der Vater also auch und – er erzählt gerne. So berichtet er an dieser Stelle ausführlich über die Erfahrungen seines Sohnes an der Grundschule, bringt seine persönliche Meinung ein und redet und redet und redet ... Ja, auch solche Eltern gibt es. Immer so ein oder zwei, die sich gerne reden hören bzw. gerne die individuellen Erlebnisse einbringen möchten. Herr Krüger beobachtet, wie einige Eltern bereits gähnen, auf die Uhr schauen und untereinander zu quatschen anfangen. ‚Ist ja wie am Vormittag‘, merkt Herr Krüger und greift diplomatisch ein, um die übrigen Eltern zu erlösen. Erfolgreich – zum Glück. Aber nur für heute. Wer weiß, was zum nächsten Elternabend Unvorhergesehenes passiert ...

1 Kommentar:

  1. Ich glaube, ich muss dringend meinen Tarnmodus für Elternabende überarbeiten! :-)

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