Der Winter war echt lang. Das war
besonders blöd, weil Nadine immer mal wieder gefroren hat. Gut, sie trug häufig
ihr schulterfreies Oberteil, weil sie es so gerne mag und ihre Freundin Sandy
gesagt hat, dass sie so toll darin aussieht. Den Jungs will Nadine ja
schließlich auch gefallen und dann ist das eben so, dass man im Winter friert.
Blöd ist es dann halt nur, wenn die Lehrer
einen auf den Schulhof schicken. Das tun die so penetrant, dass es oft
echt nervt. Nadine und ihre Freundinnen suchen dann meistens die Toilette auf,
weil es da immer so gut riecht, und essen ihr Pausenbrot dann inmitten
gleichgesinnter, sich eifrig nachschminkender Mädels, von denen manche ebenfalls ihr
Pausenbrot ausgepackt haben. Andere nutzen die Gelegenheit, um schnell bei
Facebook zu posten, dass sie gerade auf der Toilette sind.
Hausaufgaben werden selten gemacht. Nadines Onkel hat irgendwann mal erzählt, dass sie damals oft die Hausaufgaben auf der Toilette abgeschrieben haben. Heute macht das kaum einer. Die Lehrer können einem doch gar nichts, was sollen sie schon tun? Eine Sechs geben, na und? Was interessiert Nadine eine Sechs ...?
Hausaufgaben werden selten gemacht. Nadines Onkel hat irgendwann mal erzählt, dass sie damals oft die Hausaufgaben auf der Toilette abgeschrieben haben. Heute macht das kaum einer. Die Lehrer können einem doch gar nichts, was sollen sie schon tun? Eine Sechs geben, na und? Was interessiert Nadine eine Sechs ...?
Es klingelt. Nadine und die
anderen Mädels verlassen die Mädchentoilette und trotten langsam – die
übergroßen Handtaschen im Anschlag – in Richtung Klassenraum. Zweimal in der
Woche ist es ziemlich schwierig, den Klassenraum zu betreten und dabei eine
gute Figur zu machen, also sexy für die Jungs zu laufen. Schließlich will auch die Handtasche dabei
stilvoll getragen und die Schultern, die sie durch ihr lockeres Top zu
betonen versuchen, angemessen in Szene gesetzt sein. Das Problem besteht darin,
dass gleich im Eingangsbereich ein Low Board steht, in dem die Schülerinnen und
Schüler der Klasse ihre Sportklamotten aufbewahren können. Das ist
grundsätzlich eigentlich gut, denn diese ewige Hin- und Herschlepperei nervt
ja auch irgendwie. Weil aber viele aus der Klasse ihre Sportklamotten nicht
richtig in der Sporttasche verstauen, so dass die Hälfte noch raushängt und sie zudem ihre
Tasche häufig nur in der Nähe des Low Boards fallen lassen und sie damit als
‚verstaut‘ betrachten, staksen später kommende Schüler dann über diesen
Taschen-Klamotten-Haufen rüber. Dabei treten sie dann auf vieles rauf oder kicken es zur
Seite, so dass Tasche und heraushängende Shirts oder Hosen durch den
abgelagerten Sand und Dreck einen Grauschleier bekommen bis sie wieder in der
nächsten Sportstunde getragen und mit Schweiß vermengt werden. Der Haufen
erinnert ein bisschen an die Szene, die sich einem darstellt, wenn am
Straßenrand Altkleider gesammelt werden, vom Geruch einmal ganz zu schweigen ...
Während eine Hand voll Mädels in den
letzten Sekunden vor oder in den ersten Minuten nach dem Klingeln den
Klassenraum betreten, sitzen die meisten Jungs schon auf den Plätzen, na gut,
nicht alle, Pierre z. B. steht noch am Fenster, die Hosen hängen unterhalb
der Pofalte und die Boxershorts guckt vor ... na ja, sie guckt eigentlich nicht
vor eigentlich kann man sie voll sehen. Nur die untere Naht ist von der Jeans
überdeckt, ansonsten steht Pierre eigentlich ‚im Freien‘. Nadine kennt
niemanden, bei dem die Hose so tief sitzt oder besser gesagt hängt, aber dafür
hat Pierre auch immer nur eine Hand frei, weil er die andere immer in der
Hosentasche hat, um dort - versteckt - die Jeans vor dem Abgang zu bewahren. Bis
letzte Woche saß Nadine noch so, dass sie die Aussicht auf Pierre hatte, wenn
er sitzt. Dann sieht man auch die untere Boxershorts-Naht, denn Pierre sitzt
dann quasi nur auf seiner Unterhose und die Jeans kann nur deshalb nicht rutschen, da er mit
den Oberschenkeln auf dem Gürtel sitzt. Pierre hat jetzt einen anderen Platz, sodass Nadine nicht mehr gucken kann. Aber das ist nicht so schlimm, Christian
ist eigentlich viel süßer, nur trägt er leider die Jeans nicht so tief wie
Pierre.
Der Winter war wirklich lang. Als
wäre das die Legitimation dafür anziehen zu können, was man will, tragen die Mädels
in diesem Jahr am ersten frühlingshaften Tag – es ist April und 20 Grad Celsius – nicht einfach Shorts, sondern derartig kurze Hosen, dass man sie bei nur flüchtigem Hinsehen auch
mit einem besonders breiten Gürtel verwechseln könnte. Dass die Oberteile dazu
ebenfalls dementsprechend textilarm gehalten sind, versteht sich von selbst. Ob
die Mädels sich damit auf die nächste Staffel „Germanys Next Top Model“
vorbereiten?
Man weiß es nicht, bleibt doch
die Frage unbeantwortet, ob sie nicht spätestens in dem Augenblick, in dem deutlich wird, dass sie doch zu wenig Bildung und zu viel ‚Attitude‘
im Gepäck habe, zu hören bekommen: "Ich habe heute leider kein Foto für dich!"