Donnerstag, 18. April 2013

Catwalk oder Altkleidersammlung

Der Winter war echt lang. Das war besonders blöd, weil Nadine immer mal wieder gefroren hat. Gut, sie trug häufig ihr schulterfreies Oberteil, weil sie es so gerne mag und ihre Freundin Sandy gesagt hat, dass sie so toll darin aussieht. Den Jungs will Nadine ja schließlich auch gefallen und dann ist das eben so, dass man im Winter friert. Blöd ist es dann halt nur, wenn die Lehrer  einen auf den Schulhof schicken. Das tun die so penetrant, dass es oft echt nervt. Nadine und ihre Freundinnen suchen dann meistens die Toilette auf, weil es da immer so gut riecht, und essen ihr Pausenbrot dann inmitten gleichgesinnter, sich eifrig nachschminkender Mädels, von denen manche ebenfalls ihr Pausenbrot ausgepackt haben. Andere nutzen die Gelegenheit, um schnell bei Facebook zu posten, dass sie gerade auf der Toilette sind. 
Hausaufgaben werden selten gemacht. Nadines Onkel hat irgendwann mal erzählt, dass sie damals oft die Hausaufgaben auf der Toilette abgeschrieben haben. Heute macht das kaum einer. Die Lehrer können einem doch gar nichts, was sollen sie schon tun? Eine Sechs geben, na und? Was interessiert Nadine eine Sechs ...?

Es klingelt. Nadine und die anderen Mädels verlassen die Mädchentoilette und trotten langsam – die übergroßen Handtaschen im Anschlag – in Richtung Klassenraum. Zweimal in der Woche ist es ziemlich schwierig, den Klassenraum zu betreten und dabei eine gute Figur zu machen, also sexy für die Jungs zu laufen. Schließlich will auch die Handtasche dabei stilvoll getragen und die Schultern, die sie durch ihr lockeres Top zu betonen versuchen, angemessen in Szene gesetzt sein. Das Problem besteht darin, dass gleich im Eingangsbereich ein Low Board steht, in dem die Schülerinnen und Schüler der Klasse ihre Sportklamotten aufbewahren können. Das ist grundsätzlich eigentlich gut, denn diese ewige Hin- und Herschlepperei nervt ja auch irgendwie. Weil aber viele aus der Klasse ihre Sportklamotten nicht richtig in der Sporttasche verstauen, so dass die Hälfte noch raushängt und sie zudem ihre Tasche häufig nur in der Nähe des Low Boards fallen lassen und sie damit als ‚verstaut‘ betrachten, staksen später kommende Schüler dann über diesen Taschen-Klamotten-Haufen rüber. Dabei treten sie dann auf vieles rauf oder kicken es zur Seite, so dass Tasche und heraushängende Shirts oder Hosen durch den abgelagerten Sand und Dreck einen Grauschleier bekommen bis sie wieder in der nächsten Sportstunde getragen und mit Schweiß vermengt werden. Der Haufen erinnert ein bisschen an die Szene, die sich einem darstellt, wenn am Straßenrand Altkleider gesammelt werden, vom Geruch einmal ganz zu schweigen ...


Während eine Hand voll Mädels in den letzten Sekunden vor oder in den ersten Minuten nach dem Klingeln den Klassenraum betreten, sitzen die meisten Jungs schon auf den Plätzen, na gut, nicht alle, Pierre z. B. steht noch am Fenster, die Hosen hängen unterhalb der Pofalte und die Boxershorts guckt vor ... na ja, sie guckt eigentlich nicht vor eigentlich kann man sie voll sehen. Nur die untere Naht ist von der Jeans überdeckt, ansonsten steht Pierre eigentlich ‚im Freien‘. Nadine kennt niemanden, bei dem die Hose so tief sitzt oder besser gesagt hängt, aber dafür hat Pierre auch immer nur eine Hand frei, weil er die andere immer in der Hosentasche hat, um dort - versteckt - die Jeans vor dem Abgang zu bewahren. Bis letzte Woche saß Nadine noch so, dass sie die Aussicht auf Pierre hatte, wenn er sitzt. Dann sieht man auch die untere Boxershorts-Naht, denn Pierre sitzt dann quasi nur auf seiner Unterhose und die Jeans kann nur deshalb nicht rutschen, da er mit den Oberschenkeln auf dem Gürtel sitzt. Pierre hat jetzt einen anderen Platz, sodass Nadine nicht mehr gucken kann. Aber das ist nicht so schlimm, Christian ist eigentlich viel süßer, nur trägt er leider die Jeans nicht so tief wie Pierre.


Der Winter war wirklich lang. Als wäre das die Legitimation dafür anziehen zu können, was man will, tragen die Mädels in diesem Jahr am ersten frühlingshaften Tag – es ist April und 20 Grad Celsius – nicht einfach Shorts, sondern derartig kurze Hosen, dass man sie bei nur flüchtigem Hinsehen auch mit einem besonders breiten Gürtel verwechseln könnte. Dass die Oberteile dazu ebenfalls dementsprechend textilarm gehalten sind, versteht sich von selbst. Ob die Mädels sich damit auf die nächste Staffel „Germanys Next Top Model“ vorbereiten?

Man weiß es nicht, bleibt doch die Frage unbeantwortet, ob sie nicht spätestens in dem Augenblick, in dem deutlich wird, dass sie doch zu wenig Bildung und zu viel ‚Attitude‘ im Gepäck habe, zu hören bekommen: "Ich habe heute leider kein Foto für dich!"

Montag, 1. April 2013

Schüler haben immer Recht



Herr Krüger hatte Hausaufgaben aufgegeben. Bereits vor dem Wochenende, genauer gesagt am Mittwoch, hatte es natürlich Diskussionen gegeben, da heutzutage grundsätzlich alles diskutiert wird. Am letzten Mittwoch ging es darum, ob Herr Krüger überhaupt Hausaufgaben aufgeben dürfe. Martin war Herrn Krüger bereits ins Wort gefallen, als dieser begonnen hatte „... als Hausaufgabe sollt ihr ...“, indem er – einfach drauf los „das dürfen sie gar nicht!“ durch die Klasse protestiert hatte, und zwar in einer solchen Lautstärke, dass alle es hören MUSSTEN, ob sie wollten oder nicht.
„Glaub mir ... ich darf!“ „Nein - dürfen sie nicht, weil das Wochenende liegt dazwischen und dann dürfen Sie das nicht.“ „Wir können uns gerne nach der Stunde unterhalten, Martin, die Hausaufgabe ist jedenfalls verpflichtend und dein Satzbau war falsch!"
Natürlich kam Martin nicht in der Pause zu ihm. So weit ging sein Vorhaben wahrscheinlich nicht, vielmehr wollte er einfach nur widersprechen. Warum? Sind Lernen und Üben inzwischen zu Krankheiten mutiert, von denen Herr Krüger nichts mitbekommen hat? Obwohl ... Schüler neigen in diesem Alter ja sehr dazu, alles, was mit Lernen und Engagement zu tun hat, abzulehnen und sich von allem und jedem belästigt zu fühlen ... Herr Krüger fragt sich immer wieder, warum das so ist, das kann doch nicht alles nur die Pubertät sein!? Reicht als Ergebnis der Schullaufbahn heutzutage schon, wenn man einen Computer einschalten und sich bis zu Google vorarbeiten kann, um im Bedarfsfalle einer Frage auf einer schlechten „Gute Frage-Seite“ zu landen und die erstbeste Antwort abzulesen?



Nun – es ist inzwischen Mittwoch geworden und die gestellte Hausaufgabe – das Anfertigen einer Mindmap zum Thema ‚Höflichkeit ‘ ist fällig. Herr Krüger gibt eine Aufgabe für die nächsten 15 Minuten und geht rum, um die Mindmaps während der Bearbeitungszeit in Augenschein zu nehmen. Martin ist der Vierte, der kontrolliert wird. Natürlich eskaliert die Situation auf ein Neues, als Herr Krüger gemäß Sitzordnung nach der Hausaufgabe fragt: „ Ich habe ihnen doch schon letzte Woche gesagt, dass sie das nicht dürfen. Ich habe ganz viele andere gefragt und die haben das alle bestätigt ...“ Herr Krüger murmelt vor sich hin: „Wenn du meinst, es ist übrigens inzwischen die fünfte 6 für nicht gemachte Hausaufgaben ...“ „Hä? Was soll das jetzt schon wieder? Warum machen sie mich hier vor allen fertig?“ Herr Krüger rollt mit den Augen und versucht, die Bemerkung zu überhören und weiter zu kontrollieren; nachdem er jedoch nicht reagiert hat, greift die nächste Schülerin, die in diesem Augenblick ihre Hausaufgabe präsentieren soll, den Faden auf und fragt: „Ja, warum machen sie ihn eigentlich vor allen fertig? Ich meine, es gibt doch auch noch andere, die die Hausaufgaben nicht gemacht haben und da haben sie nichts gesagt!?“

Die Nerven von Herrn Krüger, an denen die Schüler vehement zerren, werden dünner und dünner ... auch die nächsten beiden Schüler haben keine Hausaufgabe dabei. Nicht, dass irgendjemand ein schlechtes Gewissen deshalb hätte. Nein, ein Gewissen hat man heutzutage nicht mehr als Schüler, da man es gegen ein selbstgeschriebenes Buch mit dem Titel „Mein Recht als Schüler – ein Ratgeber zur Vorgehensweise gegen die illegalen Machenschaften der Lehrer im 21. Jahrhundert“ getauscht hat.

Und nachdem sich die Anzahl der Schüler, die inzwischen nicht mal mehr ein Wort sagen, sondern lediglich desinteressiert den Kopf schütteln, exponentiell erhöht, gibt Herr Krüger auf. Sein überbeanspruchtes Ventil platzt, er schließt sein Notenbuch, stellt sich vor die Klasse und teilt mit, dass Hausaufgaben künftig nur noch freiwillig zu erledigen sind, dass Martin Recht habe und er selbst im Studium einfach so viele falsche Dinge beigebracht bekommen habe, die er leider immer noch nicht gelernt habe, obwohl er bereits seit über zehn Jahren in Amt und Würden stehe.

Einen Augenblick lang ist Ruhe, aber nur wenige Sekunden, denn dann bricht die übliche Dauerdiskussion los und Herr Krüger fängt ein paar Fetzen auf, u. a. ein an ihn gerichtetes „warum nehmen sie das denn jetzt persönlich ...?“