Montag, 1. April 2013

Schüler haben immer Recht



Herr Krüger hatte Hausaufgaben aufgegeben. Bereits vor dem Wochenende, genauer gesagt am Mittwoch, hatte es natürlich Diskussionen gegeben, da heutzutage grundsätzlich alles diskutiert wird. Am letzten Mittwoch ging es darum, ob Herr Krüger überhaupt Hausaufgaben aufgeben dürfe. Martin war Herrn Krüger bereits ins Wort gefallen, als dieser begonnen hatte „... als Hausaufgabe sollt ihr ...“, indem er – einfach drauf los „das dürfen sie gar nicht!“ durch die Klasse protestiert hatte, und zwar in einer solchen Lautstärke, dass alle es hören MUSSTEN, ob sie wollten oder nicht.
„Glaub mir ... ich darf!“ „Nein - dürfen sie nicht, weil das Wochenende liegt dazwischen und dann dürfen Sie das nicht.“ „Wir können uns gerne nach der Stunde unterhalten, Martin, die Hausaufgabe ist jedenfalls verpflichtend und dein Satzbau war falsch!"
Natürlich kam Martin nicht in der Pause zu ihm. So weit ging sein Vorhaben wahrscheinlich nicht, vielmehr wollte er einfach nur widersprechen. Warum? Sind Lernen und Üben inzwischen zu Krankheiten mutiert, von denen Herr Krüger nichts mitbekommen hat? Obwohl ... Schüler neigen in diesem Alter ja sehr dazu, alles, was mit Lernen und Engagement zu tun hat, abzulehnen und sich von allem und jedem belästigt zu fühlen ... Herr Krüger fragt sich immer wieder, warum das so ist, das kann doch nicht alles nur die Pubertät sein!? Reicht als Ergebnis der Schullaufbahn heutzutage schon, wenn man einen Computer einschalten und sich bis zu Google vorarbeiten kann, um im Bedarfsfalle einer Frage auf einer schlechten „Gute Frage-Seite“ zu landen und die erstbeste Antwort abzulesen?



Nun – es ist inzwischen Mittwoch geworden und die gestellte Hausaufgabe – das Anfertigen einer Mindmap zum Thema ‚Höflichkeit ‘ ist fällig. Herr Krüger gibt eine Aufgabe für die nächsten 15 Minuten und geht rum, um die Mindmaps während der Bearbeitungszeit in Augenschein zu nehmen. Martin ist der Vierte, der kontrolliert wird. Natürlich eskaliert die Situation auf ein Neues, als Herr Krüger gemäß Sitzordnung nach der Hausaufgabe fragt: „ Ich habe ihnen doch schon letzte Woche gesagt, dass sie das nicht dürfen. Ich habe ganz viele andere gefragt und die haben das alle bestätigt ...“ Herr Krüger murmelt vor sich hin: „Wenn du meinst, es ist übrigens inzwischen die fünfte 6 für nicht gemachte Hausaufgaben ...“ „Hä? Was soll das jetzt schon wieder? Warum machen sie mich hier vor allen fertig?“ Herr Krüger rollt mit den Augen und versucht, die Bemerkung zu überhören und weiter zu kontrollieren; nachdem er jedoch nicht reagiert hat, greift die nächste Schülerin, die in diesem Augenblick ihre Hausaufgabe präsentieren soll, den Faden auf und fragt: „Ja, warum machen sie ihn eigentlich vor allen fertig? Ich meine, es gibt doch auch noch andere, die die Hausaufgaben nicht gemacht haben und da haben sie nichts gesagt!?“

Die Nerven von Herrn Krüger, an denen die Schüler vehement zerren, werden dünner und dünner ... auch die nächsten beiden Schüler haben keine Hausaufgabe dabei. Nicht, dass irgendjemand ein schlechtes Gewissen deshalb hätte. Nein, ein Gewissen hat man heutzutage nicht mehr als Schüler, da man es gegen ein selbstgeschriebenes Buch mit dem Titel „Mein Recht als Schüler – ein Ratgeber zur Vorgehensweise gegen die illegalen Machenschaften der Lehrer im 21. Jahrhundert“ getauscht hat.

Und nachdem sich die Anzahl der Schüler, die inzwischen nicht mal mehr ein Wort sagen, sondern lediglich desinteressiert den Kopf schütteln, exponentiell erhöht, gibt Herr Krüger auf. Sein überbeanspruchtes Ventil platzt, er schließt sein Notenbuch, stellt sich vor die Klasse und teilt mit, dass Hausaufgaben künftig nur noch freiwillig zu erledigen sind, dass Martin Recht habe und er selbst im Studium einfach so viele falsche Dinge beigebracht bekommen habe, die er leider immer noch nicht gelernt habe, obwohl er bereits seit über zehn Jahren in Amt und Würden stehe.

Einen Augenblick lang ist Ruhe, aber nur wenige Sekunden, denn dann bricht die übliche Dauerdiskussion los und Herr Krüger fängt ein paar Fetzen auf, u. a. ein an ihn gerichtetes „warum nehmen sie das denn jetzt persönlich ...?“

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