Ein Arzt beschäftigt sich mit der
Prävention, Diagnose, Therapie und Nachsorge von Krankheiten, schreibt Wikipedia.
Wikipedia schreibt auch, dass eine Krankheit die Störung der Funktion eines
Organs, der Psyche oder des gesamten Organismus ist.
Herr Krüger hatte gegoogelt. Er
hatte vor ein paar Wochen eine Ärztin kennengelernt. Sie war in die Trommelgruppe
eingetreten, der er seit drei Jahren angehörte. In den Probenpausen oder auch
mal danach, wenn einer die anderen zusammengetrommelt hatte und alle gemeinsam
noch etwas trinken gingen, hatten sich die beiden viel unterhalten, natürlich
über Schule, genausop aber auch über Ärzte und Patienten. Auch heute waren sie einmal
nach dem letzten Trommelschlag beim Italiener gelandet und es hat sich ein
munteres Gespräch in großer Runde ergeben, bei der ein Wort das andere gab und
man schließlich – wie so oft – beim Thema Schule gelandet war. Herr Krüger
hatte mal analysiert, warum gerade sein Job so oft Thema war und er hatte eine
Lösung gefunden: Alle glauben immer mitreden zu können, weil sie selbst einmal
zur Schule gegangen sind. Dabei birgt diese Einstellung einen gewaltigen Denkfehler,
denn: Reden die Leute auch mit, wenn sie ihr Auto in die Werkstatt geben, nur
weil sie schon mal in einem dringesessen haben?
Wie auch immer, im Rahmen dieses
verbalen Schlagabtauschs, der immer recht laut wurde, weil die Trommelfelle schon
heftig geschwungen hatten, hört er plötzlich die ‚kleine Trommel‘ laut fragen:
„Hast du nicht auch diverse Patienten in deiner Schule zu betreuen, Andreas?“
Eine Lachsalve schallt durchs
Lokal. Herr Krüger hatte berufsbedingt Ohren, die denen des Mr. Spock kaum
nachstanden. Die Stimmung ist gut und gleicht der der alten Herren aus der
Feuerzangenbowle und so ist, von der ‚kleinen Trommel‘ ausgelöst, fast jeder mit
einer phantasierenden Bemerkung bei der Hand. „Wie viele Patienten habt ihr
denn bei euch an der Schule und steht wegen der vielen Fächer Gemeinschaftsklinik
über dem Haupteingang?“ schlägt eine der Djemben vor. „Ja und im Sekretariat werden
die Behandlungstermine vergeben“ ergänzt Djembe Nummer zwei. Gar nicht so
abwegig, denkt sich Herr Krüger, schließlich gibt es genügend liebeskranke
Schüler in dieser Zeit und auch solche, bei denen definitionsgemäß nur ein
Organ gestört ist: das Gehirn. Dieses müsste ja bekanntermaßen in vielen Fällen
‚wegen Umbaumaßnahmen geschlossen‘ sein, da sind sich viele, die mit Teenagern
zu tun haben, einig. Vor Herrn Krügers innerem Auge läuft augenblicklich ein illustrer
Film an, in dem die Schüler in der Patientenrolle agieren, die Zeugnismappe bzw.
Schülerakte zur Patientenakte mutiert und der Schulleiter den Posten des
Chefarztes übernimmt.
Die Eltern lassen sich für ihre Kinder einen Termin geben, nachdem der
Chefarzt den Patienten in Augenschein genommen, die Akte studiert und eine
Anamnese erstellt hat. Grundsätzlich werden Langzeittherapien angesetzt, die
über vier oder sieben Jahre laufen. Die Therapie über sieben Jahre verspricht eine
höhere Effizienz, so der Chefarzt, hinge aber entschieden von der aktiven
Mitarbeit des Patienten ab. „Er muss es auch wollen“, hört man ihn immer wieder
sagen, wenn man mal durch Zufall dabei ist. „Wenn der Patient nicht will, nützen
die besten Therapeuten nichts.“
Jedem Patienten werden wegen eines gemeinschaftlichen Therapieansatzes
grundsätzlich mehrere Therapeuten zugeteilt. So gibt es Sporttherapeuten, die sich
auf Bewegungstherapien spezialisiert haben, Gestalttherapeuten, die den Patienten
die Gelegenheit geben wollen, sich in Plastiken, Bildern oder abstrakter Kunst
auszudrücken und Sprachtherapeuten, die darauf abzielen, dass die Patienten
lernen, sich ihrer Umgebung mitzuteilen. Aber auch Logopädie steht auf dem Therapieplan,
wobei diese in der Regel fachübergreifend Anwendung findet. Und – natürlich gab
es auch die Psychotherapeuten, die dafür verantwortlich sind, dass die
Patienten im Umgang untereinander ihren psychohygienischen Weg finden können. Zu
erwähnen, dass es in Patientenkonstellationen wie diesen natürlich auch
Unverträglichkeiten gibt, ist obsolet.
Jeder Patient hat durchschnittlich zwischen fünf und acht Anwendungen
am Tag. Gruppentherapien gehören zu den Grundsätzen der Klinik, werden jedoch
nicht immer von allen Patienten gleich gut aufgenommen, so dass immer wieder
einige die Therapie abbrechen und mitunter in Fachkliniken untergebracht werden.
Die Klassenlehrer fungieren als Oberärzte, die regelmäßig die Befunde zusammenfassen
und in der Patientenakte bündeln. Daraus werden wiederum Diagnosen erstellt,
die den Fortgang des weiteren therapeutischen Verlaufs bestimmen. Mitunter müssen
die Oberärzte familientherapeutische Termine ansetzen, wenn sich abzeichnet,
dass einige Symptome des Patienten aus dem unmittelbaren Umfeld, also der
Familie, kommen mussten.
„Andreas ...?“ Herrn Krüger
passiert es immer wieder, dass er alles um sich herum vorübergehend ausblendet,
wenn ihn ein interessanter Gedanke gepackt hat. Und diese Vorstellung, dass
Gemeinschaftsklinik über dem Eingang zum Foyer steht, gefiel im außerordentlich
gut.
„Was habt ihr gesagt? Wisst ihr“,
reagierte er endlich grinsend, „ich hab mir das gerade mal so ein bisschen
ausgemalt. Stellt euch mal Folgendes vor ...“
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