Samstag, 7. Februar 2015

Improvisationstheater



„Herrrrreinspaziert, meine Damen und Herren, herrrrrreinspaziert!“ Ein kleiner Metallschlägel klöppelt einen Trommelwirbel auf die Schulklingel. Das Publikum der Schülerinnen und Schüler strömt in das Schultheater und nimmt wuselnd seine Plätze ein. Das Programm verspricht sieben verschiedene Darsteller, doch nach dem Studium des langen Vertretungsplans wird klar: Es steht mal wieder 'Improvisationstheater' auf dem Programm.
Schon letzte Woche hatte sich ein Moderatoren-Team aus der Radio-AG angemeldet, die einen Beitrag für das Schulradio über den Lehreralltag machen wollen. Zur Recherche und Vorbereitung gehört da natürlich das Einnehmen der Lehrer-Perspektive, sodass sie sich einen Lehrer ausgesucht hatten, mit dem sie mitlaufen wollten: Herrn Krüger.
Auch Herr Krüger betritt wie viele Schüler und Kollegen an diesem Morgen das Schulgebäude und erkennt am Vertretungsplan, dass der Tag ganz anders ablaufen wird, als er das zu Hause geplant hat. Natürlich weiß er von den drei Radio-Schülern und hat sich demzufolge etwas besser vorbereitet. Diverse Vertretungsstunden lassen darauf schließen, dass nicht nur er improvisieren muss, aber die anderen werden ja schließlich nicht begleitet, denkt sich Herr Krüger. Zum Glück betrifft es ihn heute nur in der zweiten Stunde, in der er in eine zehnte Klasse gehen und Kollegen Rotter vertreten soll, aber dennoch ärgerlich, denn in genau dieser Freistunde wollte er das Moderatorenteam in den Verwaltungstrakt führen und ihm einen kleinen Einblick in das geben, was für die Schüler unsichtbar im Hintergrund so abläuft, Schülerakten und so. Sofort arbeitet Herrn Krügers Hirn und er überlegt sich, was er in der Vertretungsstunde mit der Klasse Sinnvolles machen könnte. Er erinnert sich, dass er kürzlich eine Stunde über Primark ausgearbeitet hat und entschließt sich, auch einmal mit der Zehnten darüber zu sprechen. Da er die Klasse nicht kennt, verspricht er sich davon, mit diesem Thema einen guten Treffer zu landen und die notwendige Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Da seid ihr ja, ihr drei. Guten Morgen. Wollen wir? Auf zur ersten Stunde, Geografie steht auf dem Plan!“ Mit dem Dreiergespann im Schlepptau pilgert er zur 8b. Er drückt auf die Klinke, will gerade ein gutes Beispiel in puncto Höflichkeit sein und den dreien die Tür öffnen, findet den Klassenraum aber verschlossen vor. „Komisch“, sagt Herr Krüger und zückt sein Schlüsselbund. Doch auch das Aufschließen des Raumes führt zu derselben Erkenntnis: Die 8b ist ausgeflogen. Herr Krüger schleust seine Begleiter ins Lehrerzimmer und versucht, eine Hinweis über den Verbleib der 8b zu entdecken. erst nach langem Suchen, findet er am schwarzen Brett einen kleinen Zettel, der kaum sichtbar von anderen überdeckt wird, kein Wunder also, dass Herr Krüger diesen übersehen hat.
Kurzentschlossen disponiert er um. „Wisst ihr was, dann gehen wir jetzt schon rüber in die Verwaltung und ich zeige euch, was Lehrer sonst noch so machen.“ Gesagt, getan und so ziehen alle vier über den Gang. Am Vertretungsplan wirft Herr Krüger noch einmal einen Blick auf ebendiesen und entdeckt, dass er nicht mehr Herrn Rotter, sondern stattdessen Frau Schmidt in der 7a vertreten soll. „Jetzt muss ich umplanen“, erklärt Herr Krüger seinen drei Begleitern, während sie in der Verwaltung sitzen.
Eine dreiviertel Stunde später verfolgen die drei AGler die Vertretungsstunde, in der Herr Krüger sich für ein Übungsspiel zum Lernen und Üben von Fremdwörtern entschieden hat. Die Zeit vergeht sogar für die drei Zuschauer wie im Flug, die lieber mitgespielt hätten, als hin und wieder Notizen für ihre Reportage auf ein Blatt Papier zu kritzeln. Kurze Zeit später finden sie sich im Schlepptau von Herrn Krüger wieder, der sich inzwischen einen Kittel übergezogen hat und auf den Bio-Trakt zusteuert. Schon von weitem wundern sich alle vier über ein Schild, das an der Eingangstür den Weg versperrt. Als sie näher kommen, liest Pepe, einer der Drei, laut vor: „Aus Sicherheitsgründen ist das NaWi-Haus bis auf Weiteres gesperrt!“ „Das darf doch nicht wahr sein“, reißt Herr Krüger seine Arme nach oben, „ich wollte heute gerne mikroskopieren, meine Schüler freuen sich schon so darauf. Jetzt muss ich mir schon wieder was anderes überlegen ...“
Kurz entschlossen bittet Herr Krüger Pepe, hier auf seine Klasse zu warten und dann später in den Computerraum nachzukommen, in den er schon einmal mit den anderen beiden vorgehe. Zum Glück sind zwei Räume frei und Herr Krüger kann seinen spontan entwickelten Plan in die Tat umsetzen. Für alle Fälle bereitet Herr Krüger nämlich zu Hause von Zeit zu Zeit digitale Übungseinheiten vor, die er für seine Schüler übers Netz zugänglich macht. Eine ideale Sache für Tage wie diesen.
Die Idee funktioniert und so verbringen die 25 Schüler seiner Klasse leicht enttäuscht, durch den PC jedoch anders motiviert, die nächste Doppelstunde. Zwischendurch, so erfährt das Reporterteam, baut Herr Krüger noch zwei Zwischenphasen ein und bietet noch weitere interaktive Bausteine an, damit den Siebtklässlern nicht langweilig wird.
Doch auch solche Stunden am PC vergehen meistens überraschend schnell und so geht es rasant weiter, nachdem alle PCs wieder soweit für den Nächsten startklar gemacht sind.
„Die Aufsicht ruft“, erklärt Herr Krüger erneut und winkt seinen drei Schatten, damit sie ihm in die Mensa folgen. Kaum angekommen, stürmt eine Kollegin auf ihn zu und erklärt ihm, dass sie sich wegen eines Notfalls um eine Schülerin kümmern müsse, ob er auch ihren Aufsichtsbereich übernehmen könne. „Klar, mach ich“, beruhigt sie Herr Krüger hilfsbereit. Damit hat er heute die gesamte Mensa unter seinem ‚Ob-Hut' und läuft so viel hin und her, um die Schüler zum Ordnung halten zu ermahnen, dass das Radioteam kaum Schritt halten kann.
„Geschafft“, schnauft Herr Krüger endlich, „jetzt nur noch die Doppelstunde Grundkurs und dann ist der Tag rum.“ Gemeinsam gehen sie in den geplanten Raum und erstaunlicherweise läuft zum ersten Mal an diesem Tag alles nach Plan. Sogar die Schüler machen ganz gut mit, finden die drei 'Radiotoren' aus der Neunten.

„Krass, Herr Krüger, ganz schön stressig, ihr Tag! Und das machen Sie alles echt freiwillig?“ „Ja, erstaunlich, oder? Wenn es nicht ständig anders kommen würde, als man geplant hat, würde es mehr Spaß machen, aber so habt ihr jetzt einen Tag erlebt, von denen es leider viel zu viele gibt. Heute war das ja ein reines Improvisationstheater'.“ „Auf jeden Fall Kompliment, Herr Krüger!“
'Wow', denkt sich Herr Krüger, 'ein Kompliment aus Schülermund!' „Vielen Dank, ihr drei, ich bin gespannt auf euren Beitrag im Schülerradio. Wann wird der gesendet? Freitag?“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen