Samstag, 23. Mai 2015

... angeschmiert



Es drohte an Herrn Krügers Schule schon fast langweilig zu werden, wenn nicht ... ja, wenn nicht die Maler gekommen wären. Mitten in der Woche, mitten am Tag und mitten im Geschehen schlägt plötzlich eine Malerkolonne auf. Eimer in der Hand, Leitern auf den Schultern, weiße, aber bunt besprengelte Hosen auf dem Leib beziehen Sie im Erdgeschoss Stellung.

Herr Krüger registriert dies zunächst nur nebenbei und gibt seine erste Doppelstunde Biologie. Als er danach zurück zum Lehrerzimmer kommt, hat sich der Flur deutlich verändert: Teppichbahnen wurden ausgerollt – wenn auch nicht in rot, sondern in grau –, Kreppstreifen zieren die Türrahmen und Klinken und Herr Krüger, seine Kolleginnen und Kollegen aber auch die Schülerschaft laufen zwar nicht angetrunken, aber dennoch im Slalom zwischen Farbeimern und anderen Malerutensilien über den Gang.

Gute zehn Minuten später ist es schon wieder Zeit, die nächsten Schüler zu ärgern und Herr Krüger verlässt das Lehrerzimmer wieder. Die Kreppgirlanden sind mehr geworden, sodass die Herren in den weißen Kitteln demzufolge auch von der Rolle sind.

Eine weitere Doppelstunde vergeht und da Herr Krüger anschließend noch eine Aufsicht wahrzunehmen hat, betritt er den Flur im Erdgeschoss erst wieder, als dieser sich nahezu gänzlich verhüllt hat. ‚Wow‘, denkt sich Herr Krüger, ‚so sieht also ein Flur im Burka-Look aus: Halbdurchsichtige Folien hängen wie Segel von den Feuerschutztüren, auch der Boden ist mittlerweile komplett unter weiterem Abdeckmaterial verschwunden, beinahe der gesamte Flur ist verhüllt. Allerdings hat die Pinselkolonne heute die Segel gestrichen, denn keiner der bleichen Gesellen ist mehr zu sehen.

Am Tag drauf ist das anders. Als Herr Krüger durch das Foyer schreitet, schart sich gerade das Malervolk um einen Auflauf von Farbeimern. Sie scheinen einen Schlachtplan auszuhecken. Und tatsächlich, als Herr Krüger eine Schulstunde später erneut auf den Gang tritt, haben sie angefangen. Es sieht noch fleckig aus, aber immerhin, es scheint etwas zu passieren.

Auch erste Schilder, auf denen ‚frisch gestrichen‘ steht, hängen bereits. Wie Herr Krüger in der Pause merkt, sind aber mittlerweile nicht nur die ersten Türen frisch gestrichen, sondern auch die ersten Schüler. Alle paar Minuten begegnet ihm eine kleine Traube von Schülern, die überwiegend belustigt um einen eher bedient wirkenden Schüler steht. Das Bild der Schülertraube ist immer ähnlich, nur die Blessuren, die die Schüler davongetragen haben, zeigen sich an den unterschiedlichsten Stellen. Der erste hat eine dunkelgrüne Handinnenfläche – unverkennbar hatte er eine frisch gestrichene Tür nicht an der Klinke, sondern am Türkörper angefasst. Ein paar Meter weiter bestaunt eine andere Schülerhorde eine Jacke, auf deren Schulterbereich sich so etwas wie ein Tattoo abzeichnet, das aber letztlich auch nur einen Zusammenstoß mit einer Tür abbildet. Die größte Traube lässt auf eine besonders ungewöhnliche Begegnung mit der bösen grünen Lackfarbe schließen und als Herr Krüger näherkommt, kann auch er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ricardo, einen Schüler aus einer der 7. Klassen, – schmückt ein unregelmäßiges dunkelgrünes Farbmuster schräg oben im Gesicht. Herr Krüger erkundigt sich bei einem der umstehenden Schüler und bekommt selbstverständlich sofort die gewünschte Auskunft. Ricardo hatte an der Mädchentoiletteneingangstür gestanden und durchs Schlüsselloch gucken wollen, weil er das Mädchen darin vermutete, für das er gerade ein erhöhtes Interesse entwickelt. Sie war nun während der letzten Stunde darin verschwunden, Ricardo hatte sich auch unter dem ‚Toiletten-Vorwand‘ aus dem Unterricht entfernt, war ihr gefolgt und hoffte nun, irgendetwas Spannendes von ihr zu erhaschen. Was Ricardo aber nicht wusste, dass noch ein anderes Mädchen zur selben Zeit auf der Toilette war und just in dem Moment die frisch gestrichene Tür aufstieß, als Ricardo gerade sein Auge am Schlüsselloch platzieren wollte. Das Ergebnis prangte nun in seinem Gesicht ...

Aber auch die Kollegen sind genervt von der Invasion der Maler. Besonders ein Kollege fühlt sich angeschmiert, seit er über den Flur ging, eine Tür aufflog und diese von seinem Hemdsärmel gestoppt wurde. Alle anderen Kollegen betreten jedoch überraschend freundlich das Lehrerzimmer und lächeln sich mehr an als sonst. Nach einigem Rätseln wird Herrn Krüger der Grund klar. Auch die Lehrerzimmertür wird natürlich gestrichen und steht seit einiger Zeit offen. Als Vorsichtsmaßnahme haben die Maler nun auch hier ein Schild angeklebt, das allerdings von oben herunterhängt, sodass alle Kollegen aus der Angst vor Farbmalen und um nicht das Schild im Gesicht zu haben, eine tiefe Verbeugung machen, wenn sie das Lehrerzimmer betreten. Wer dann einen solchen Kollegen kommen sieht, freut sich über die so selten gewordene und tiefe Verbeugung und grüßt erfreut zurück. Es scheint also fast so, als hätte das Malen doch auch einen positiven Nebeneffekt. Ob man deshalb vielleicht alle ‚frisch gestrichen‘-Schilder von oben an Türen runterhängen lassen sollte?

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