Eigentlich sollte es ein ruhiger Tag
werden. Herr Krüger hat vor einer Woche einen Test angesagt – in Bio. Und
dennoch ist es wie immer: Die meisten sind auf den Test eingestellt, einige
fallen aus allen Wolken und versuchen, den Test zu verschieben, indem sie Herrn
Krüger zu bequatschen versuchen. Eine Schülerin erklärt, dass sie den Test gar
nicht mitschreiben kann, weil sie vor zwei Wochen in zwei Stunden gefehlt habe
usw. Selbstverständlich sprechen alle gleichzeitig, während Herr Krüger versucht,
die Voraussetzungen für eine Leistungskontrolle herzustellen; Tische umstellen,
Schüler umsetzen und so. Kurzum – der übliche Wahnsinn.
Schließlich fällt der Startschuss
und Herr Krüger teilt alle Blätter aus, ermahnt zur Ruhe und stellt einen Countdownzähler
ein, damit alle Schüler, denen nichts mehr einfällt, wenigstens rückwärts
zählen lernen. Ungefähr 30 Sekunden, nachdem die Klasse zur Ruhe und
Konzentration gefunden hat, fliegt die Tür auf und Emma kommt hinein und
gleichzeitig aus dem Mustopf.
Ganz vorne bekommt sie einen
Extraplatz. Doch sie hat noch nicht genug Staub aufgewirbelt. Emma stellt nach
ausgiebigem Kramen fest, dass sie keinen schreibenden Stift dabeihat. Der eine
und einzige, den sie großzügigerweise in ihre Handtasche gesteckt hat, hat
seinen Geist aufgegeben. Eine Schultasche als solche hat auch sie – obwohl noch
in Klasse sieben – auch nicht mehr und demzufolge auch keine Federtasche mit
Schreibalternativen. Stiftlos dreht sie sich daher um und nimmt halb flüsternd,
halb rufend quer durch die Klasse Kontakt mit verschiedenen Schülern auf, um
sich einen Stift zu organisieren. Man bietet ihr einen Textmarker, einen Edding,
eine blanke Kugelschreibermine und einen stumpfen Bleistift an, wie Herr Krüger
mitverfolgt. Kurz bevor Emma den Bleistift als vermeintlich geeignet in Empfang
nehmen kann, mischt er sich jedoch ein, zieht mit einem Griff einen
Kugelschreiber aus seiner Federtasche und hält ihn Emma hin. Diese steht auf,
zieht Herrn Krüger den Stift aus der Hand und will sich wieder setzen. „Hey“,
ermahnt sie Herr Krüger, „sag Danke, Papa!“
„Danke, Papa“ wiederholt Emma teils belustigt, teils an irgendwann einmal
vernommene Umgangsformen erinnert. Dann endlich ... beginnt auch sie ihren Test
zu schreiben.
Herr Krüger lässt seinen Lernkontrollblick
über die Köpfe seiner Schüler schweifen und will sich gerade ein bisschen
entspannend zurücklehnen, als Emma erneut seine Aufmerksamkeit fordert: „Herr
Krüger, haben Sie ein Taschentuch für mich?“ Nach einem kurzen Moment, indem
Herr Krüger in sich zusammensackt, greift er erneut zielsicher in seinen
Rucksack und streckt Emma die offene Packung hin. „Danke“ will sich Emma
wegdrehen. „Wie heißt das?“ hakt Herr Krüger nach? „Danke, Papa!“ kommt wie aus
der Pistole geschossen zurück. In den ersten Reihen sieht man mehrere Schüler
schmunzeln.
Dann kehrt wieder Ruhe ein. Ob Herr
Krüger sich jetzt ein bisschen zurücklehnen kann? Von wegen. Als hätte er nur
darauf gewartet, schießt Samet jetzt zum Lehrerpult. „Können Sie für mich
schreiben?“ fragt er und hält demonstrativ seine Hand nach oben. Herr Krüger
sieht nur kurz hin und nimmt eine anscheinend medizinisch bedingte Verbandkonstruktion
wahr. Da Samets Schrift sowieso schon unter normalen Umständen kaum lesbar ist,
willigt Herr Krüger ein und übernimmt den Posten des Schreiberlings, indem er
alles schreibt, was Samet diktiert. Zuweilen stellen sich dabei krampfartige
Zustände bei Herrn Krüger ein, wenn er grammatikalisch gänzlich unverständliche
Sätze aufschreiben muss, aber Herrn Krügers Autokorrektur würde mangelnde Fairness
gegenüber den anderen Schülern bedeuten. Erst jetzt bemerkt er, dass Samet nur
irgendetwas um seinen Finger gewickelt zu haben scheint ... „ich habe einen
Bluterguss“ rechtfertigt sich Samet. ‚Och nee‘, denkt Herr Krüger, hat aber
keine Lust auf eine Diskussion.
Schließlich ist die Zeit vorbei und
Herr Krüger schreibt die letzten Worte im Auftrag von Samet. Als er ihn mit den
Worten „und jetzt liest du noch einmal alles Korrektur“ entlässt, grinst Samet
Herrn Krüger an und sagt: „Danke, Papa!“
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