Freitag, 12. Juni 2015

Allesfresser


Es gibt so Tage, an denen ist keine Zeit für gar nichts, nicht mal fürs Essen. Morgens bleibt die Zeit schon nicht, um sich ein Brot zu schmieren, unabhängig davon, dass man erst einmal die Augen soweit aufbekommen muss, dass man das Brot-Fach überhaupt findet und den richtigen Brotaufstrich wählt. Oft ist es aber auch schlicht und ergreifend zu spät. Ist man dann erst einmal am Ort der Hektik – der Schule – angelangt, war’s das eigentlich, denn Unterricht ist Unterricht und auch die Pausen sind in der Regel randvoll mit Ereignissen und gefühlten 20-30 Minischauplätzen gefüllt, ob es kleine Infos sind, Materialien, die – irgend wie immer auf die letzte Minute – in zusammengestellt werden müssen, ein Griff zum Kursheft oder zur Wandkarte und und und. Die ersten vier Stunden sind im Nu rum. Die Uhr scheint in den Pausen immer im doppelten Tempo zu laufen. Da bleibt oft nicht einmal die Zeit, um sich aufs Örtchen zurückzuziehen. Wenn man dann noch in der Mittagspause eine 45-Minuten-Aufsicht hat, kommt der Hunger unausweichlich nur – hat man nichts zu essen parat.
Auch heute ist einer dieser Tage, an denen die Zeit verdammt knapp und das mechanisch geschlungene Frühstück ziemlich spärlich war. So frisst sich der Hunger mehr und mehr durch Herrn Krügers Tag: Durch die Stunden, durch die Pausen, durch den Magen – lautstark von entsprechendem Grummeln begleitet – und schließlich sogar durch Herrn Krügers Hirn, sodass er alle paar Minuten immer und immer wieder ans Essen denkt. Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Appropos stehlen. Herr Krüger hat nach fünf Stunden Unterricht und der langen Mittagspausenaufsicht endlich eine Freistunde und hat sich ins Lehrerzimmer gesetzt. Hunger! Hatte er nicht vorhin irgendwo eine Schale mit Smarties stehen sehen? Herr Krüger erhebt sich, stromert auf der Suche nach etwas Essbarem wie ein Trüffelschwein durchs Lehrerzimmer und tatsächlich. Da steht eine Schale mit Smarties. ‚Ein paar kann ich mir da bestimmt nehmen‘ denkt er sich, greift hinein und schüttelt den Rest wieder zurecht, als wäre niemand dran gewesen. Satt ist Herr Krüger von ein paar Smarties natürlich nicht, allerdings hat er noch nicht bei Ulla in der Keksdose geguckt. Diese Dose steht ein paar Tische weiter und wird relativ regelmäßig von einigen Kollegen befüllt. Zugegebenermaßen ist sie danach auch recht schnell wieder leer, aber immerhin ist sie eine gute Idee, zumindest einmal nachzugucken. Keine zehn Sekunden später hebt Herr Krüger den Deckel von der Dose und .... ja, wieder ein Treffer: Drei Schokokekse mit Marmeladenfüllung sind noch drin. Glück gehabt! Zusammen mit einem Kaffee aus dem Automaten hilft das Herrn Krüger heute über den gröbsten Hunger hinweg.
Dass er mit diesem Problem nicht alleine ist, zeigt kurze Zeit später. Kollege Klammt kommt herein, bemerkt Herrn Krüger aber nicht, der ganz in der Ecke des Lehrerzimmers seinen Platz hat und jetzt etwas liest. Zunächst nicht besonders zielgerichtet, schlendert der Kollege durch’s Lehrerzimmer, wie Herr Krüger nach einem kurzen Blick zur Tür aus dem Augenwinkel beobachtet. Doch nach relativ kurzer Zeit geht auch er wie selbstverständlich den Deckel der Blechdose, die Herr Krüger eben noch gelüftet hatte. Allerdings hat Kollege Klammt Pech, schließlich hat Herr Krüger gerade die letzten Kekse inhaliert. Möglichst gleichgültig und ohne aufzufallen schließt der Kollege die Dose wieder und wandert weiter durchs Lehrerzimmer. Für Herrn Krüger ist klar: Auch Kollege Klammt hat Hunger und streunt durch die Schule auf der Suche nach etwas Essbarem. Schließlich findet er eine Packung Kekse, die auf einem Fensterbrett stand. Er nimmt sich ein paar Kekse und verschwindet kurze Zeit später wieder. Herrn Krüger hat er nicht bemerkt.
Neugierig steht Herr Krüger auf und guckt sich die Packung Kekse an. Waren die nicht abgelaufen? Herr Krüger sucht nach dem Datum ... 06/2014 ... ‚sag ich ja‘ denkt Herr Krüger bei sich, ‚deshalb hatte ich sie verschmäht. Allerdings ... bestätigt sich mal wieder: Lehrer essen im Zweifelsfalle alles, auch dann, wenn das Naschwerk bereits sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten hat. Lehrer sind eben Menschen und Menschen – Allesfresser.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen