Mittwoch, 24. Juni 2015

... denn sie wissen nicht, was sie tun




Die Tür fliegt auf. Obwohl es nicht brennt, kommt – scheinbar aus dem Nichts – ein Wasserstrahl aus dem Off des Schulflures. Lautes Kreischen! „Meine Federtasche ...“, „... meine Wimperntusche ...“, „... meine Frisur ...!!“ Helle Aufruhr bei den Mädchen, während die Jungen zwar auch schützend die Hände hochreißen, jedoch mit ihren Verbaläußerungen weitaus ökonomischer sind. Herr Krüger erträgt die Unterbrechung mit der gebotenen Gelassenheit, wird ihm doch klar, dass er gegen den Streich der Abiturienten 2015 in diesem Moment eh nichts ausrichten kann.

Während die Mädchen binnen kürzester Zeit Handspiegel, Schminkutensilien und Handys gezückt haben, um sich äußerlich wieder herzurichten, hat sich Herr Krüger eine zentrale Position in der Klasse verschafft, um zumindest soweit wieder Ruhe herzustellen, dass er den unterrichtlichen Gedanken zu Ende führen kann.

Doch als dieser Gedanke nur halbwegs zu Ende geführt zu sein scheint, merkt man die Unruhe der Schüler, die bereits zusammenpacken, denn – was Herr Krüger nicht mitbekommen hat – alle Schüler wurden aufgefordert, den Sportplatz aufzusuchen. Kurzerhand gibt er klein bei: „Was soll’s, dann geht mal auf den Sportplatz ...“ Keine 60 Sekunden später ist der Klassenraum leergefegt, auf dem Gang herrscht ein heilloses Durcheinander und immer mehr Klassen wuseln hin und her.

Zugegeben – auch Herr Krüger ist ein bisschen neugierig und so schlendert er ebenfalls Richtung Sportplatz. Auf dem Weg dorthin weicht er wie auf einem Parcours immer wieder den Wassergeschossen der Abiturienten aus, die an allen strategisch wichtigen Punkten mit Wasserpistolen stehen, um alle potentiellen Schüler auf der Flucht vom Schulgelände in ihre Schranken zu spritzen und dazu zu bewegen, den richtigen Weg – auf den Sportplatz – einzuschlagen.

Auf dem Sportplatz selbst herrscht ein absolutes Tohuwabohu. Keiner weiß so richtig Bescheid, nicht einmal das Organisationskomitee. Abiturienten sind im Taumel der Freude, die Mittelstufenschüler beglückt über die Unterbrechung des Schulalltags. Binnen kürzester Zeit wird Herrn Krüger demonstriert, dass sich genau diejenigen Schüler aus der Mittelstufe narrenfrei bewegen, die auch sonst über die Klassen hinaus auffällig und bekannt sind. Auch sie halten mittlerweile Wasserbomben in den Händen, jagen sich gegenseitig und bewerfen sich bis auch sie klitschnass sind.

Währenddessen patrouillieren die Abiturienten weiterhin mit Spritzpistolen und Wasserbomben. Allerdings weiß keiner so richtig, wie es jetzt weitergehen soll. Einer verweist auf den anderen, als Herr Krüger sich erkundigen will. Während er sich noch nach seinen Schützlingen umguckt, trifft ihn ein Wasserstrahl von hinten am Hals. Herr Krüger zuckt zusammen, zwei Dutzend Schüler freuen sich, dass der Schütze einen Treffer gelandet hat. In diesem Moment tönt es von der anderen Seite: „Joo, Herr Krüger, machen Sie mit ...“ Drei bis vier Hände schieben ihn plötzlich neben eine der Lautsprecherboxen, die dort aufgebaut sind und den Sportplatz beschallen. Ehe er sich recht besinnen kann, wird ihm eine Kollegin an die Seite gestellt, die ihn mit einer Rolle Toilettenpapier einwickeln soll. Ziel ist es, die Rolle schnellstmöglich um den Kollegen zu rollen und gegen ein zweites Kollegenpaar zu gewinnen. Dann ertönt das Startzeichen und Herr Krüger spürt das Papier wie einen Kopfverband um Stirn und Augen gewickelt. Schon bei der zweiten Umdrehung sieht er fast nichts mehr und erhält die Order, sich zu drehen. Gesagt, getan und so dreht sich Herr Krüger beinahe in Trance, angespornt von den Rufen der anfeuernden Schüler und seinem eigenen Ehrgeiz, den Wettkampf zu gewinnen bis ... tatsächlich, Herr Krüger und Kollegin Schmaling gewinnen eine Dose Limo.

Als Herr Krüger sich nach dem Sieg umguckt, um weitere Schauplätze des bunten Abituriententreibens zu erhaschen, erblickt er in der Ferne Schüler, die durch ein Loch im Zaun sowie an einer anderen Ecke über den Zaun türmen. Ist es schon so weit, dass Jugendliche vor einem Fest flüchten, weil sie nicht einmal mehr mitfeiern können?

Alternativ wird Herrn Krüger angeboten, auf der Lehrertribüne Platz zu nehmen, einem Tisch, der unmotiviert auf dem Sportplatz steht. Das Plaudern mit einer Hand voll Kollegen, die mitten im Trubel Aufsicht führen macht Spaß, was den Abi-Streich betrifft, bleibt Herrn Krüger nur ein Schluss: „... sie wissen nicht, was sie tun!“

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