„Guten Morgen, lieber Herr
Krüger.“ „Guten Morgen.“ „Hatten Sie ein schönes Wochenende?“ „Oh ja, vielen
Dank, ich kann nicht klagen“ antwortet Herr Krüger überrascht über einen solch
freundlichen und interessierten Dialog – sogar noch vor Unterrichtsbeginn.
Als es
klingelt, stehen alle Schüler ungefragt auf, stellen sich neben den Tisch und
lächeln Herrn Krüger erwartungsvoll an. Alle waren pünktlich, keiner muss
gesondert aufgefordert oder ermahnt werden. Auch die Begrüßung verläuft
diszipliniert und sogar nachdem die Kids Platz genommen haben, beginnen Sie
nicht – wie üblich – damit, eine Jahrmarktsituation mit mannigfaltigem Gemurmel
zu erzeugen, sondern sehen gespannt nach vorne in der Erwartung auf das, was
Herr Krüger sich für die heutige Stunde überlegt hat.
„Ich würde gerne zuerst die
Hausaufgaben kontrollieren, bitte nehmt sie vor!“ Die Schüler greifen zu ihren
Heftern, schlagen die entsprechende Seite auf, drehen die Hefter um, damit Herr
Krüger nicht ‚auf dem Kopf‘ lesen muss und warten, dass ihre Hausaufgaben
begutachtet werden. Herr Krüger schlägt sein Notenheft auf und checkt die
Hausaufgaben. Nach dem ersten halben Dutzend hält er jedoch inne, guckt auf und
sich um und fragt in die Runde: „Das ist schon der sechste Schüler mit einer vorbildlichen
Hausaufgabe: sorgfältig geschrieben, mit Name und Datum auf dem Blatt, die Überschrift
ist bei allen unterstrichen und die Inhalte sind auch gelungen. Hab ich was
verpasst? Ist irgendwas passiert? Habt ihr euch abgesprochen?“ Die Schüler
lächeln ihn an, schütteln vergnügt den Kopf und Herr Krüger kontrolliert
weiter. Das Ergebnis: Alle 26 Schüler haben ihre Hausaufgaben vorbildlich
erledigt, korrigierende Hinweise wurden interessiert aufgenommen und sofort
verbessert.
Positiv
überrascht und hoch motiviert steigt Herr Krüger inhaltlich mit einer Karikatur
in den heutigen Stundenschwerpunkt des Unterrichts ein. Normalerweise melden
sich drei, nach Aufforderung von Herrn Krüger fünf Schüler, aber heute … fast
drei Viertel aller Schüler melden sich und wollen etwas beitragen. Vorbildlich
beschreiben Sie zunächst die Karikatur, wie sie das in den Vorstunden gelernt
haben, und steigen dann erst in die Interpretation ein, die von interessanten
und kreativen Beiträgen gekennzeichnet ist. Herr Krüger fühlt tiefste innere
Zufriedenheit, denn all seine Bemühungen scheinen nicht vergeblich gewesen zu
sein.
Auch der weitere
Unterrichtsverlauf ist erhebend, so viele Faktoren, die Herr Krüger immer und
immer wieder in Vorstunden initiiert hat, kommen zum Vorschein. Melinda zickt
nicht rum wie sonst, Marco quatscht nicht ständig dazwischen, sogar Piet dreht
sich nicht ständig um und lenkt seine Mitschüler ab. Franka malt nicht ständig
irgendwelche Bilder und Nadin bürstet sich nicht ständig ihre Haare; auch
Handyprobleme gibt es heute keine.
Die
Schüler reagieren auf Anweisungen von Herrn Krüger, schlagen problemlos das
Buch auf, bearbeiten leise die schriftlichen Aufgaben und auch zum Stundenabschluss
sind alle sehr aktiv und motiviert dabei.
Herr
Krüger ist total berauscht, blüht gerade für seinen Job mehr auf denn je und
will gerade ein riesiges Klassenlob über die Klasse regnen lassen, als plötzlich
ein lauter Alarmton ertönt. „Feueralarm?“ fragt Herr Krüger die Klasse.
Aber
seine Klasse kann nicht mehr antworten, denn Herr Krüger wacht auf. Es war sein
Wecker, der ihn aus seinem Traum geholt hat – leider. An solche Zustände in
seinem Unterricht hätte sich Herr Krüger gut gewöhnen können. Er seufzt einmal
tief und eilt in die Dusche. Leider bleibt kaum noch Zeit, in seinem Traum von
eben zu schwelgen, denn es ist schon 6.30 Uhr und die Zeit bis zur ersten
Stunde wird knapp ...
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