Samstag, 31. Januar 2015

Die Flasche



Herr Krüger betrat den Neubau der Schule, in dem alle 7. Klassen Quartier bezogen hatten: "Wer hat denn hier diese Sauerei angerichtet?" rief Herr Krüger unvermittelt mit einem Blick auf den Treppenhausboden, über den er wie ein Storch zum Klassenraum watete. Er befürchtete wilde Szenarien in einer der beiden Toiletten, wagte es aber nicht, dort nachzusehen. Stattdessen wiederholte er seine Frage in der Tutorstunde mit seiner Klasse?"

Piet plapperte munter darauf los und gab bereitwillig Auskunft, obwohl zeitgleich mehrere andere Schüler, die brav die Hand hoben, wie es mal in grauer Vorzeit – so um die Jahrhundertwende – gewesen sein muss, ebenfalls auskunftsbereit gewesen wären. "Und zwar“, plaudert er munter weiter, „das war so: Ich und Alfons ...“ „Alfons und ich“ unterbricht ihn Herr Krüger. „“Ja, also Alfons und ich haben gesehen, wie Natalia die Flasche auf den Tisch gestellt hat und dann ist Kevin an den Tisch gestoßen und die Flasche ist umgefallen, aber weil der Deckel nicht drauf war, ist Nadin nass geworden und deshalb hat sie dann die Flasche zur Seite gekickt und ich und Alfons ...“ „Alfons und ich ...“ „Ja, Alfons und ich haben dann nur die Flasche zurückgekickt. Und plötzlich haben irgendwie alle mitgemacht, aber wir waren jedenfalls nicht die einzigsten, wir haben nur einmal zurückgekickt. Und außerdem, gucken Sie mal, die Flasche ist ja noch nicht mal ganz leer, is also nicht so schlimm."

„Wie ... nicht so schlimm?“ Herr Krüger runzelte die Stirn. „Nein, es war ganz anders ...“ platzte es aus der hinteren Ecke aus Nadin heraus und auch sie setzte sich nun über das Meldeprocedere hinweg, „ich und Melanie ...“ „Melanie und ich...“ „Ja, also Melanie und ich wollten eigentlich in die Pause gehen und ich habe mir nur noch mein Brot genommen, weil wir hatten ja Mittagspause, und dann kamen Piet und Alfons und haben mir die Flasche weggenommen ...“ „Und warum lässt du dir deine Flasche wegnehmen?“ fragte Herr Krüger, um Licht in das widersprüchliche Chaos zu bringen. „Das ist ja gar nicht meine Flasche ...“

„Na gut,“ gab Herr Krüger auf, „ich denke, es tut auch nichts zur Sache. Tatsache ist jedenfalls, dass diese Flasche hier im Mittelpunkt stand und ihr eine riesen Sauerei draußen angerichtet habt.“

Herr Krüger deutet auf eine PET-Flasche, quasi das corpus delicti, die inzwischen betreten auf dem Fensterbrett lag. Wie ein geprügelter Hund und voller Beulen lag sie da, war platt nach den Tritten und allem, was sie gehört hatte, und rührt sich kein Stück, in der Hoffnung ihrer prekären Situation noch mehr Theatralik verliehen zu können.

Herr Krüger zeigte nach einem langen Blick auf die Flasche Mitleid und verlangte Wiedergutmachung, zumindest am Treppenhausfußboden. Er besorgte kurzerhand zwei Lappen und einen Eimer und drückte diese Piet und Nadin in die Hand, die zwar widersprechen wollten, über ein „aber ..." jedoch nicht hinauskamen, weil Herrr Krüger sie bereits ins Treppenhaus geschoben hatte.



Zwei Minuten später wagte Herr Krüger einen Blick vor die Tür und fand seine Schüler dabei vor, wie sie auf ihre Art den Boden behandelten. Sie hatten die beiden trockenen und starren Lappen auf den Boden geworfen und wischten – die Lappen mit ihren ausgestreckten Füßen haltend – unkontrolliert hin und her. „Nee, nee, nee ... so wie ihr das macht, ist wischen impossible“ griff Herr Krüger ein und erklärte, dass sie ihre Lappen nassmachen, auswringen und dann den Boden komplett und mit System wischen müssten. „Ja, okeee ...“ trottete Piet Richtung Toilette.

Fünf weitere Minuten später lugte Herr Krüger ein weiteres Mal vor die Tür. Piet war mittlerweile auf die Knie gefallen, da er das System verstanden und bereits ein beachtliches Stück sauber gewischten Boden geschaffen hatte, während Nadin nach wie vor ihre ‚Ich-mach-das-mit-dem-Fuß-und-mach-mir-doch-nicht-die-Finger-nass-Technik‘ anwandte, damit allerdings auch kaum etwas geschafft hatte. Herr Krüger lobte Piet, sagte, dass so das gesamte Treppenhaus auszusehen habe und ging wieder zurück in den Klassenraum.



Und die Flasche? Sie hatte es nicht geschafft. Sie erlag all den Tritten und Schlägen und musste sich ihrem Schicksal fügen. Asche zu Asche, Plastik zu Plastik.

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