Samstag, 16. Februar 2013

Kosmetikstunde

Es klingelt. Langsam bequemt man sich zum Platz, obwohl ... eigentlich könnte man ja auch noch ein Schwätzchen mit Nadja halten, schließlich hat der Lehrer noch nicht ermahnt.
Mist - jetzt hat er es doch mitgekriegt, na egal, ein Lehrer kann einem heutzutage sowieso nichts. Wenn es denn unbedingt sein muss, stell ich mich auch noch auf meinen Platz, bittesehr! Was ist denn jetzt noch? Was? Ich soll meine Handtasche vom Tisch nehmen? "Och Maaaan, ey!"


Unter Stöhnen und mit genervtem Blick nimmt Annette ihre Handtasche vom Tisch. Wobei ... warum Handtasche? Ist Annette nicht erst in der 9. Klasse? Ist sie, aber Schultaschen gibt es in dem Sinne sowieso nicht mehr. Warum auch? Es steht ja nirgendwo, dass man eine haben muss, also handelt und packt man nicht zweckmäßig, sondern mode- und launengesteuert. Seit einigen Jahren heißt das: Handtasche! Wenn das Schulmaterial nicht hineinpasst, das man eigentlich dabei haben sollte, ist das nicht so schlimm. Im Zweifelsfalle muss man sich erklären lassen, dass es doch eigentlich egal sei, wenn man maaal irgendetwas nicht dabei hat.



Aber gut, nehmen wir mal an, der Konflikt, dass eine Handtasche nicht auf den Tisch gehört, weil dieser eigentlich als Arbeitsplatz vorgesehen war (also, früher, als die Schultische entworfen und gebaut wurden, haben die sich das wohl so vorgestellt), ist ausgestanden und der Unterricht - soweit man das hautzutage überhaupt noch als Unterricht bezeichnen kann - hat begonnen.



"Der Lehrer organisiert irgendwelches Zeugs und erzählt was ... na ja, seien wir mal gnädig und lassen ihn reden. Eigentlich könnte ich mir doch dabei die Hände eincremen. Ja, gute Idee, also: Handtasche vorgeholt, Handcreme rausgeholt. Kerstin möchte auch was, klar gebe ich ihr was und tippe Regine an, die vor mir sitzt. "Ey, gib das mal Kerstin nach vorne!" "Was?" "Du sollst die Handcreme Kerstin geben, die will sie auch haben!" Regine gibt die Handcreme weiter - sogar unbemerkt von den Blicken des Lehrers.



Kerstin cremt sich jetzt endlich auch die Hände ein. "Welches Fach haben wir eigentlich gerade? Hmm ... oh, Mist, ich hab zu viel Creme aus der Tube gedrückt. Na ja, ich frag einfach mal die Jungs hinter mir. Super, Tillman will was ... hier, hast du was."

Der Lehrer nervt. "Was? Wieso soll ich ihnen meine Handcreme geben, es stört doch nicht ...? - Natürlich, er besteht drauf! Voll übertrieben!"


"Herr Peters", fragt Nadine entrüstet, "warum muss ich denn meine Handcreme abgeben, Katharina hat sich eben auch im Spiegel den Lidstrich nachgezogen und da haben sie auch nichts gesagt. Immer ich, als wenn ich die Einzigste wäre ..." - Herr Peters schnappt nach Luft, geht doch seine Stunde gerade inhaltlich den Bach runter, weil die Schülerinnen eine Diskussion über den Sinn der Kosmetik im Unterricht doch für weitaus essentieller halten als die Funktionsweise des Ohres bei der Schallweiterleitung. "Können wir das nach der Stunde klären, Nadine?"

Nadine ist eingeschnappt und bockt auf ihrem Platz still vor sich hin, mindestens acht Mitschülerinnen und Mitschüler beobachten sie, was sie sich weiter in dieser Angelegenheit überlegt und wie sie weiter reagiert, während Herr Peters die überraschenderweise doch noch erhaltene Creme abstellt und den Faden des Ohres wiederzufinden versucht.


Nach der Stunde geht er geschafft ins Lehrerzimmer, im Kopf die Überlegung, ob er als Thema nicht vielleicht doch lieber das Sinnesorgan "Haut unter besonderer Berücksichtigung von Hand- und Nagelhaut" zum Stundenthema hätte machen sollen.

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