Kikerikiiiii ... Herr Krüger
erwacht vom Hahnenschrei in der Idylle Brandenburgs. Beim Blick aus dem Fenster
sieht er auf einen See, der glatt den ruhigen Morgen widerspiegelt. Die
Morgensonne wirft ihr rotes Licht auf die Baumwipfel der Kastanien, als Herr
Krüger die frische Morgenluft in sein Zimmer lässt.
Und dennoch: Der Schein trügt.
Die Ruhe ist nur von kurzer Dauer, denn - Herr Krüger ist immer noch auf
Klassenfahrt.
Er fragt sich was der heutige
Tag wohl bringen mag, denn so still und starr wie der See ruht, war es bisher
nicht - im Gegenteil. In den ersten zwei Tagen ihrer 90-Stundenschicht hatten
Frau Kracht und Herr Krüger schon alle Hände voll zu tun:
Streithähne mussten getrennt
werden, weil sie sich nicht einigen konnten, wer zuerst da war und das
vermeintlich schönere Bett bekommt, die Betten mussten bezogen werden, was
nicht ganz einfach ist, wenn nicht alle Schüler wissen, dass drei Teile zum
Bettzeug gehören und man sogenannte Bettbezüge über Bettdecken und Kopfkissen
zieht.
Im Laufe der Zimmerrundgänge
wurde ebenfalls schnell klar, dass Süßigkeiten und Chips in etwa die Hälfte des
Gepäckvolumens ausmachen und dass pubertierende Teenager kein Schwarzpulver
brauchen, um ein Zimmer so umzugestalten, dass man denkt, eine Bombe hätte
eingeschlagen.
Sämtliche Textilien sind
binnen kürzester Zeit gleichmäßig, wenn auch nicht ordentlich über das Zimmer
verteilt und erwecken dabei schnell den Eindruck, als wären sie gerade aus
einem Aktkleidercontainer gekippt worden, wobei die Socken in der Regel so
aussehen, als seien sie zum Fahrradputzen benutzt worden und einen Gestank
verbreiten, der mitunter an die Stinkbomben der 90er Jahre erinnern, die
Jugendliche damals in Drogerien gekauft und in der Schule ‚geworfen‘ haben. Leere
PET-Flaschen lockern das Zimmer-Bild auf und bringen Transparenz sowie eine
neue Form ins Bild.
Obwohl Herr Krüger eine
Zwischenreinigung durch die Schüler angeordnet und umgesetzt hat, sind Flur und
Zimmer keine 24 Stunden später erneut komplett verwüstet. Die Aktion
‚Grundreinigung‘ ist gescheitert. Bei einem Blick in das eine oder andere
Zimmer, den Frau Kracht und Herr Krüger den Tag über wagen, biete sich ihnen
ein Bild des Grauens: Bettzeug liegt auf dem Fußboden oder fliegt durch die
Gegend, Socken verursachen mitunter nicht nur einen höllischen Gestank, sondern
ein Beißen in den Augen, Jungs verkriechen sich in Mädchenzimmern und
verstecken sich so schlecht wie ein Vogel Strauß, wenn er seinen Kopf in den Sand
steckt. Parfümwolken mischen sich mit unbehandelten Schweißausdünstungen.
Mit der stillen Hoffnung auf
Besserung geben Herr Krüger und Frau Kracht bekannt, den täglichen Gang zum
Wasser zu betreuen. Die Folge ist dass die gesamte Klasse wie ein Ameisenhaufen
wild durcheinanderrennt, weil die meisten ihre Sachen zusammensuchen, die sich
jedoch über mindestens drei Zimmer verteilt haben. Als sich nach einer
geschlagenen halben Stunde die Meute auf den Weg zum nahe gelegenen See macht, setzt
sich Heidi neben Herrn Krüger und fragt: „Herr Krügaaaa ... sind da Füsche?“
Man hört förmlich wie sich die gesprochenen Rechtschreibfehler in das
Lehrerherz von Herr Krüger bohren, doch er setzt sich darüber hinweg und malt
stattdessen finstere Geschichten über Fischschwärme mit kleinen, aber sehr
scharfen Zahnleisten, die nicht lebensgefährlich sind, aber immerhin doch
schmerzhafte Schürfwunden und messerscharfe Schnitte hinterlassen können.
Laut aufkreischend rennt Heidi
zu einer Gruppe von Mädchen und erzählt aufgebracht davon. Die Mädchen lassen.
Sie merken schnell, dass Herr Krüger Heidi mächtig aufs Glatteis geführt hat
...
So reihen sich in kurzen
Intervallen sinnlose Fragen, abwegige Ideen und kleine gruppendynamische
Katastrophen aneinander bis die beiden Klassenlehrer ein Fazit ziehen: Ein von
Mückenstichen geplagter, letztlich abgeholter Schüler, ein wegen eines
Wespenstichs wimmernder anderer Schüler, eine lange Schürfwunde am Arm von
Schüler drei, Dauerzickenterror des einen Mädchenzimmers – mitunter mit
ansteckender Wirkung auf Nachbarzimmer, ein zerbrochenes Bett, ein zerlegter
Mülleimer sowie eine klasse komplett ausgelaugter Schüler.
Bei so einem Fazit wird Herrn
Krüger und Frau Kracht schnell klar, wie viele Fehler sie gemacht haben, sodass
sie beschließen, noch eine Sonderklassenfahrt zu machen. Selbstverständlich
bezahlen die beiden Lehrer die gesamte Fahrt, denn den Schülern kann man das
natürlich nicht zumuten. Außerdem - das steht bereits fest – haben die beiden
ein 4-Sterne-Hotel gebucht, in dem täglich ein Zimmerservice die Spuren des
Vortages und der Nacht beseitigt. Selbstverständlich können die Schüler die
Bettenverteilung selbst bestimmen, natürlich auch gemischgeschlechtlich. Ein
McDonalds sowie ein Lidl sind auch in der Nähe, sonst hätten Herr Krüger und
Frau Kracht das Hotel nicht gebucht. Und sollte es immer noch Gründe finden
lassen, die ein Dauermeckern zur Folge haben (und solche Gründe finden sich
ganz bestimmt), wird jedem Schüler eine kostenlose Rückreise zugesichert, falls
er die Fahrt vorzeitig abbrechen möchte. Soweit die Theorie ...
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